Die Zahlen Der Toten
Polizeikarriere ist zu Ende. Im günstigsten Fall ist das alles, was passiert. Doch sollten die Presseleute Wind von meiner Vergangenheit bekommen, werden sie sich wie Geier auf mich stürzen und mich zerreißen wie Aas.
»Lapp ist offensichtlich nicht unser Mann«, sagt er nach einer Weile.
»Ich habe den Falschen umgebracht.«
»Er war ein Vergewaltiger«, erwidert er.
»Aber kein Serienmörder.«
»Er hatte eine Waffe. Es war Selbstverteidigung.«
»Einem anderen das Leben zu nehmen ist gegen das Gebot Gottes.«
»Eine Minderjährige zu vergewaltigen auch.«
»Einen Mord zu vertuschen ist gegen unsere Gesetze.«
»Sie waren vierzehn Jahre alt. Sie haben Ihrem Vater vertraut, dass er das Richtige tut.«
»Ich war alt genug zu wissen, dass es falsch ist, einen Mann zu töten.« Ich zwinge mich, ihn anzusehen. Im Haus ist es so still, dass ich Schneegraupeln ans Fenster prallen höre. Das Brummen des Kühlschranks. Die warme Luft, die aus den Heizungsschlitzen bläst. »Was werden Sie tun, wo Sie jetzt mein dunkles Geheimnis kennen?«
»Wenn Sie offiziell ein Geständnis ablegen, können Sie alles vergessen: Ihre Karriere, Ihren Ruf, finanzielle Sicherheit. Und nicht zu vergessen Ihren Seelenfrieden.«
»Der hat sich schon lange verabschiedet.«
»Nun, Kate, ich habe auch Dinge getan, die nicht einwandfrei sind.« Er zuckt die Schultern. »Ich habe nicht das Recht, über Sie zu richten.«
»Außer meiner Familie wissen nur Sie davon.«
Er schenkt beide Gläser nach. Ich will nichts mehr; der Wodka vernebelt mir das Hirn. Doch ich greife trotzdem zum Glas. »Ich verstehe nicht, warum das Morden nach jenem Tag aufgehört hat.«
»Vielleicht hat das, was Lapp Ihnen angetan hat, gar nichts mit den Morden von damals zu tun.«
Ich weiß, dass sechzig bis siebzig Prozent aller Sexualstraftaten nicht gemeldet werden. In der Amisch-Gemeinde ist die Prozentzahl vermutlich noch höher. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich Lapps erstes Opfer gewesen bin.
»Kate, so wie es aussieht, haben wir ein richtig fettes Problem.«
»Sie meinen, ich habe ein fettes Problem, ja?«
John beugt sich vor. »Lassen wir Ihr Schicksal als Polizistin momentan mal aus dem Spiel. Nehmen wir also an, wir kriegen den Kerl und der Fall kommt vor Gericht. Wenn jemand herausfindet, dass Sie einmal in ein Verbrechen verwickelt waren, das vertuscht wurde, könnte ein gewiefter Verteidiger das benutzen, uns beide zu diskreditieren und den Fall platzen zu lassen. Vielleicht sogar einen Freispruch für den Kerl erwirken.«
»Das mit Lapp muss niemand erfahren«, entgegne ich.
Er stößt ein raues Lachen aus. »Wer sonst weiß davon?«
»Mein Bruder Jacob und meine Schwester Sarah.«
»Und wenn sie auf einmal reden wollen?«
»Sie sind Amische. Das werden sie nicht.«
»Wer hat dem Bischof die Nachricht geschickt?«
»Meine Schwester.« Mein Lachen ist freudlos. »Sie fand, ich sollte es meinen Kollegen erzählen.«
»Wie wollen Sie das erklären?«
»Ein schlechter Scherz, was sonst.«
Er nimmt sein Glas und trinkt es auf ex. Ich tue es ihm nach, und wir stellen unsere Gläser gleichzeitig zurück auf den Tisch. Er sieht mich düster und unglücklich an. »Ich kenne Sie nicht besonders gut, aber ich glaube, Sie sind eine ausgezeichnete Polizistin. Ich glaube, Sie sind sehr engagiert. Das allein macht Sie schon zu einem besseren Gesetzeshüter, als ich es bin. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass Geheimnisse irgendwann ans Tageslicht kommen.«
»Wie alte Knochen.« Ich starre ihn an. »Es sei denn, man vergräbt sie ganz tief.«
»Wenn ich es herausgefunden habe, können andere es auch.«
»Ich will nicht, dass meine Familie da hineingezogen wird. Und dass die amische Gemeinde für das bezahlt, was ich getan habe.«
»Sehen Sie mal, Kate, es gibt bei der Sache ein paar Dinge, die für Sie sprechen. Mildernde Umstände, sozusagen. Zum Beispiel, dass es Selbstverteidigung war; Ihr Alter zum Zeitpunkt des Schusses.«
»Und, was wollen Sie jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht.«
Ich starre ihn an. Mein Herz klopft heftig. Ich will wissen, ob er mich den Behörden übergibt, traue mich aber nicht zu fragen. Tränen brennen mir in den Augenhöhlen, doch ich halte sie zurück. Auf keinen Fall will ich vor dem Mann, der wahrscheinlich mein Leben zerstören wird, zusammenbrechen.
»Ich muss gehen.« Sein Stuhl kratzt beim Aufstehen über den Boden. »Versuchen Sie zu schlafen.«
Er verlässt die Küche. Eine leise Stimme in
Weitere Kostenlose Bücher