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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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gehen kann, wie er will. Einen Ort, der so abgelegen ist, dass niemand sie hören konnte.«
    »Oder er hat ein Haus mit Keller oder schalldichtem Raum.«
    Ich verspüre einen fast manischen Drang, endlich aktiv zu werden. In meinem Kopf überschlagen sich die Dinge, die ich tun muss. Zum Beispiel Leute befragen. Ich muss entscheiden, welche Aufgaben ich delegiere und welche ich selbst übernehme. Ich werde die Hilfe aller meiner Kollegen brauchen und auch unseren Hilfspolizisten einsetzen. Meine Erschöpfung ist wie weggeblasen, stattdessen spüre ich den eisernen Willen, dieses Monster zu fassen.
    Als hätte er gemerkt, dass ich keine Fragen mehr habe, zieht der Doktor die Latexhandschuhe aus. »Ich rufe Sie an, sobald ich fertig bin.«
    »Danke, Doc. Sie haben mir sehr geholfen.«
    Auf dem Weg zur Tür fällt mir doch noch eine Frage ein. »Haben Sie noch die ausführlichen Autopsieberichte von den früheren Opfern? In unseren Akten befinden sich nur die Zusammenfassungen.«
    »Die sind meines Wissens im Archiv, aber ich kann sie kommen lassen.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir von allem, was Sie haben, so schnell es geht, Kopien ins Büro schicken lassen.«
    Er hält meinem Blick stand, doch sein Gesichtsausdruck verdüstert sich. »Ich hatte damals gerade meine Assistenzzeit im Krankenhaus beendet, Kate, und Dr. Kours bei allen vier Autopsien assistiert.« Er stößt ein freudloses Lachen aus. »Ich schwöre bei Gott, als ich die Leichen gesehen habe, wäre ich um ein Haar zur Zahnmedizin gewechselt.«
    Ich will nicht wissen, was als Nächstes kommt, bleibe aber stehen.
    »Wenn man so etwas sieht, vergisst man es nie wieder.« Er tritt vor mich. »Amanda Horner ist auf
genau die gleiche
Weise gestorben wie jene Mädchen.«
    Obwohl ich auf diese Aussage gefasst war, wird mir eiskalt.
    »Ihnen ist sicher nicht entgangen, dass die Nummer, die in den Unterleib der Opfer geritzt ist, von neun auf dreiundzwanzig angestiegen ist«, sagt der Doktor. »Das macht mir Sorgen.«
    »Wir sind nicht einmal sicher, dass wir es hier mit demselben Mörder zu tun haben«, erwidere ich. »Könnte auch ein Nachahmungstäter sein.«
    Er wirft die Handschuhe in den Behälter für Sondermüll. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass es einen Mann gibt, oder sogar zwei, die zu solchen grauenhaften Taten fähig sind. Und schon gar nicht, dass sie aus unserer Stadt stammen.«
    Er nimmt die Brille ab und wischt sich mit dem Taschentuch über den Nasenrücken, und mir wird klar, dass dieser gestandene Arzt wegen der Dinge, die er heute gesehen hat, aus der Fassung geraten ist.
    »Die Tat trägt seine Handschrift«, sagt er. »Da wette ich meine Karriere drauf.«
    Ich starre ihn an, sage mir, dass er unrecht hat. Doch zum allerersten Mal verspüre ich einen Anflug von Zweifel, und eine leise Stimme in meinem Hinterkopf fragt, ob der Schuss aus der Schrotflinte an jenem grauenhaften Tag vor sechzehn Jahren wirklich tödlich war.
    Ein halbes Leben lang habe ich mit der Überzeugung gelebt, einen Mann umgebracht zu haben. Ich habe mir vergeben und auch Gott um Vergebung gebeten. Ich habe meine Tat rationalisiert, mein Schweigen, das Schweigen meiner Familie. Und irgendwie habe ich gelernt, damit zu leben. Doch dieser Mord stellt das nun alles in Frage.
    »Kate?«, sagt der Arzt, die weißen Augenbrauen sorgenvoll zusammengezogen.
    »Es ist alles okay«, sage ich schnell und gehe zur Tür. Ich spüre den Blick des Arztes in meinem Rücken, als ich sie aufstoße, und bin unter der Uniform nassgeschwitzt, als ich schließlich den Korridor erreiche.
    Es gibt nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob der Mann, auf den ich vor all den Jahren geschossen habe, wirklich tot ist: Ich muss mit zwei Menschen sprechen, mit denen ich seitdem kaum Kontakt hatte. Zwei Menschen, die an dem Tag dabei waren, als die Gewalt mein Leben für immer veränderte. Dem Tag, als ein vierzehnjähriges Amisch-Mädchen die Schrotflinte ihres Vaters nahm und einen Mann tötete. Oder vielleicht doch nicht?

5. Kapitel
    Ich sitze fünf Minuten vor dem Krankenhaus im Auto, bevor ich wieder handlungsfähig bin. Meine Hände zittern noch, als ich die Kurzwahlnummer fürs Revier eintippe. Mona nimmt nach dem ersten Klingelton ab.
    »Ich möchte, dass Sie eine Liste mit allen leerstehenden Gebäuden, Grundstücken und Geschäftshäusern in und um Painters Mill zusammenstellen«, falle ich mit der Tür ins Haus. »So im Radius von fünfzig Meilen.«
    »Irgendwelche

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