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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Formalin und einigen anderen Dingen, die ich lieber nicht identifiziere. An der hinteren Wand stehen vier fahrbare Seziertische aus Edelstahl. In der Mitte des Raums ist eine riesige Waage zum Wiegen von Leichen, eine kleinere für einzelne Körperteile befindet sich auf einem stählernen Unterschrank, neben verschiedenen Tabletts, Flaschen und Instrumenten.
    Der Doktor nimmt ein Klemmbrett vom Regal und geht mit mir zum fünften Seziertisch, der einzige benutzte. Er schlägt das Tuch zurück, so dass Amanda Horners Gesicht und Hals freiliegen. Ihre Haut ist jetzt grau. Jemand hat ihre Augen zugemacht, doch das linke Lid ist wieder aufgegangen. Ein klebrig aussehender Schleier bedeckt den Augapfel.
    Doc Coblentz schüttelt seufzend den Kopf. »Dieses arme Kind ist einen grausamen Tod gestorben, Kate.«
    »Folter?«
    »Ja.«
    Ich versuche die Wut, die in mir aufsteigt, zu ignorieren. »Wissen Sie schon die Todesursache?«
    »Sie ist mit ziemlicher Sicherheit verblutet.«
    »Gibt es schon Hinweise auf die Art des Messers?«
    »Ein scharfes, ohne Zähne. Wahrscheinlich mit kurzer Klinge.« Er zeigt mit einem langen Watteträger auf den Schnitt am Hals. »Das hier ist die tödliche Wunde. Die Verletzung durch einen scharfen Gegenstand ist deutlich sichtbar, der Einstich relativ klein.« Er wirft einen Blick aufs Klemmbrett. »Acht Komma eins Zentimeter.«
    »Ist das von Bedeutung?«
    »Es sagt mir, dass der Täter wusste, wo er die Schlagader trifft.«
    »Medizinische Ausbildung?«
    »Oder es ist nicht das erste Mal.«
    Ich will nicht darauf eingehen und stelle meine nächste Frage. »Wie hat er sie unter Kontrolle gebracht? Mit Medikamenten, Drogen?«
    »Ich mache noch eine toxikologische Untersuchung.« Er sieht mich über seine Brille hinweg an. »Aber ich glaube, er hat eine Elektroschockpistole benutzt.«
    »Was lässt darauf schließen?«
    Er streift Einmalhandschuhe über die dicken Finger und schiebt das Tuch bis hinab zu ihrem Unterleib.
    Ich bin seit über zehn Jahren Polizistin, habe Schießereien, blutige familiäre Auseinandersetzungen und grauenerregende Verkehrsunfälle gesehen. Doch der unverblümte Anblick von toten Menschen bereitet mir noch immer Probleme. Die Angst vor dem Tod ist ein Urinstinkt, der in Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Ganz gleich, wie viele Tote ich schon gesehen habe, ich werde mich nie daran gewöhnen.
    »Sehen Sie diese roten Male?«, fragt er.
    Auf der Stelle, wo er mit dem Watteträger hinzeigt, erkenne ich zwei kleine, kreisrunde Flecken an der linken Schulter, die wie Abschürfungen aussehen. Zwei weitere befinden sich über ihrer rechten Brust und einer auf dem linken Bizeps. Würde es sich hier nicht um die Leiche eines Mordopfers handeln, könnte ich mir sicher einreden, Windpocken oder irgendwelche anderen gutartigen Hautveränderungen vor Augen zu haben. Aber als Polizistin weiß ich, dass diese Male viel unheilvoller sind.
    »Abschürfungen?« Ich beuge mich näher dran. »Verbrennungen?«
    »Verbrennungen.«
    »Die meisten Elektroschockpistolen hinterlassen keine Male.«
    »Richtig«, räumt er ein. »Das trifft vor allem zu, wenn sie durch Kleidung hindurch benutzt werden.«
    »Dann hat er sie damit betäubt, als sie nackt war?«
    Er zuckt die Schultern. »Wahrscheinlich. Aber diese Male sehen anders aus als die, die ich von früher kenne.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Die Verbrennungen hier sind schlimmer. Ich glaube, er hat die Stromstärke der Pistole manipuliert.«
    Ich betrachte die Male und gebe mir Mühe, nicht zu schaudern. Vor zehn Jahren habe ich die Polizeiakademie in Columbus besucht. Zu unserer Ausbildung gehörte es, dass mutige Schüler sich freiwillig zur Verfügung stellten, mit der Elektroschockpistole angeschossen zu werden. Aus Neugier habe ich mich gemeldet, und obwohl die Stromstärke ziemlich gering war, bin ich auf dem Hintern gelandet. Ich will mir nicht vorstellen, einem Psychopathen mit einer frisierten Elektroschockpistole ausgeliefert zu sein.
    »Glauben Sie, er hat die Pistole selbst zusammengebastelt?«, frage ich.
    »Zumindest hat er sie verändert.« Er nickt. »Jedenfalls steht fest, dass er sie damit mehrere Male angeschossen hat.«
    Ich sehe mir die Furchen um ihre Handgelenke genauer an und fröstele beim Anblick des hellen Knochens. »Womit zum Teufel hat er sie gefesselt?«
    »Draht. Und augenscheinlich ziemlich lange.« Er schüttelt den Kopf so heftig, dass seine Wangen wabbeln. »Sie hat sich

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