Die Zahlen Der Toten
und das ist alles, was er braucht.
Tomasetti wirft mir einen letzten Blick zu, dreht sich um und geht zu dem schwarzen Tahoe, der an der Straße parkt. Während ich ihm hinterhersehe, klingen seine Worte in meinen Ohren nach.
Ich bin ein ziemlich guter Polizist.
Ich frage mich, ob er gut genug ist, einen sechzehn Jahre alten Fall aufzuklären – mit all den Geheimnissen, die er birgt.
15. Kapitel
Es ist drei Uhr nachmittags, als ich die Huffman-Farm verlasse. Ich fühle mich, als hätte ich den Morgen in der Hölle verbracht. Die drei Stunden am Tatort haben mir total zugesetzt. Von unterwegs rufe ich Lois an. Sie klingt gestresst. »Die Presse rennt uns die Tür ein, Chief. Ich schwöre, mir stehen die Haare zu Berge.«
Ich sage ihr nicht, dass sicher noch mehr auf dem Weg sind. »Ich möchte, dass Sie eine Pressekonferenz organisieren.«
»Sie wollen noch
mehr
von denen hier haben?«
»Sie haben doch sicher auch schon gehört, dass man die Feinde um sich scharen soll.«
»Sie sind ’ne echte Masochistin.«
»Wir nehmen das Highschool-Auditorium. Sechs Uhr.«
»Ich kümmere mich drum.«
»Rufen Sie alle meine Officer an und sagen Sie ihnen, wir treffen uns um vier Uhr. In dem Raum, den Sie dafür eingerichtet haben. Das wird unsere Kommandozentrale.« Ich nenne die Namen aller Mitglieder meiner kleinen Truppe, einschließlich ihren. »Benachrichtigen Sie auch Detrick und Tomasetti.«
»Den Tomasetti, der wie ein Mafioso aussieht?«
Ihr Kommentar entlockt mir ein Lächeln. »Und überprüfen Sie, ob es Vermisstenanzeigen gibt. Weiblich, weiß, zwanzig bis dreißig Jahre alt, blond. Fangen Sie mit den fünf Countys an. Wenn da nichts ist, beziehen Sie Columbus, Wheeling, Massillon, Canton, Newark, Zanesville …«
»Nicht so schnell.«
»… Steubenville mit ein. Fragen Sie jeweils bei der Bezirks- und bei der städtischen Behörde nach.«
»Mache ich.«
»Stellen Sie mich zu T. J. durch, ja?«
Es klickt in der Leitung, und kurz darauf meldet sich T. J. »Hallo, Chief.«
»Haben Sie die Aussagen der Teenager?«
»Lois tippt sie gerade.«
»Gibt’s schon was über Patrick Ewell?« Ewell ist der Mann, der die Kondome im Super Vale Grocery bar bezahlt hatte.
»Ich hab ihn überprüft: Ewell, Patrick Henry. Sechsunddreißig Jahre alt. Wohnt mit seiner Frau Martha und seinen zwei Teenagern in der Parkersburg Road. Keine Eintragung im Polizeiregister, keine Festnahmen, nicht mal ’n Strafzettel für zu schnelles Fahren.« Die Tonlage von T. J.’s Stimme verändert sich. »Aber jetzt kommt’s: Er arbeitet im Schlachthof.«
Es ist eine dürftige Spur, aber in meiner Verzweiflung gehe ich allem nach. »Finden Sie heraus, was er dort arbeitet. Und auch, ob er Samstagabend im Brass Rail war.«
»Wird gemacht.«
Ich würde lieber selber mit Ewell reden, aber zuerst muss ich die Identität des zweiten Opfers herausfinden. »Überprüfen Sie, ob es eine Verbindung zwischen Ewell und Amanda Horner gibt.«
»Okay.«
Ich denke darüber nach, was wir von Ewell wissen. »Warum kauft ein verheirateter Mann mit zwei großen Kindern Kondome?«
»Na ja, hm … zur Verhütung?«
»Man sollte meinen, dass ein Paar, das so lange verheiratet ist, bessere Methoden hat.«
T. J. räuspert sich. Dass ein vierundzwanzig Jahre alter Mann bei so einem Gespräch verlegen wird, gibt mir Hoffnung, dass die Welt noch nicht ganz so verkommen ist, wie es mir gerade vorkommt. »Danke, T. J.«
»Nicht der Rede wert.«
Als ich auf den Parkplatz vom Pomerene Hospital einbiege, fühle ich mich schon fast wieder wie ein menschliches Wesen. Ich parke in der Nähe des Eingangs in der zweiten Reihe und eile zur Drehtür, weil mir Graupeln auf Kopf und Schulter trommeln. Die Rothaarige am Informationsschalter beäugt mich etwas zu interessiert. Im Vorbeigehen schenke ich ihr ein ziemlich nettes Lächeln, doch sie ignoriert es und wendet sich wieder ihrem Computer zu.
Im Kellergeschoss des Krankenhauses ist es ruhig und nicht so hell wie in den oberen Stockwerken. Meine Stiefelschritte klingen dumpf auf dem gefliesten Boden, als ich das gelbschwarze Symbol für Biogefährdung passiere, durch mehrere Schwingtüren gehe und schließlich zu Doc Coblentz komme, der in seinem Büro am Schreibtisch sitzt. »Doc?«
»Ah, Chief Burkholder. Ich habe Sie erwartet.« Er kommt in seinem weißen Laborkittel und der marineblauen Hose auf mich zu. »Wissen Sie schon, wer die Tote ist?«
»Wir überprüfen gerade Vermisstenanzeigen.«
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