Die Zarentochter
Gefühllosigkeit? Ein kühles Herz. Hass? Hass …
Du lieber Himmel – niemand hätte ihn je dazu bringen können, Olga Kalinowski zu hassen. Seine Olga, deren Herz allein für ihn geschlagen hatte, die so hingebungsvoll war, so anschmiegsam und lieb. Außer vielleicht … Hätte er sie auch noch geliebt, wenn sie all das nicht mehr gewesen wäre?
Plötzlich war er da gewesen, der Ansatz einer Lösung. Sascha hatte hin und her überlegt, jeder Gedanke war wie ein Messerstich in sein eigenes Herz gewesen.
Verzeih mir, Olly, verzeih mir! , hatte er stumm gefleht, als er glaubte, eine Lösung gefunden zu haben. Aber es ist das Beste so.
Bevor ihn die eigene Courage verließ, hatte er Julia von Haucke zu sich gerufen. Sein Plan konnte nur gelingen, wenn sie mitspielte, also musste er so schnell wie möglich mit ihr reden.
Er fuhr sich mit der Hand über Augen und Stirn, wischte seine Müdigkeit fort. »Was deine vermeintlichen Beobachtungen hinsichtlich meiner Schwester und des Prinzen von Hessen betrifft, so kann ich dir versichern, dass sie jeglicher Grundlage entbehren. Eine Bemerkung hier, ein missverständliches Wort an anderer Stelle – und schon hast du dir einen falschen Reim auf alles gemacht. Keine Sorge, ich nehme dir das nicht übel, vielmehr bin ich froh, dass du zu mir gekommen bist. Denn so habe ich die Freude, dir mitzuteilen, dass die Sachlage eine ganz andere ist: In Wahrheit ist mein Schwager nämlich dir sehr zugetan!«
»Wirklich?«
Sascha nickte. »Warum sollte ich dich belügen? Du weißt, für meine Eltern bist du wie eine weitere Tochter. Und auch wenn wir zwei nie viel miteinander zu tun hatten, so will ich nur dein Bestes. Es ist nur so …« Er schaute auf die Uhr. Schon Viertel nach fünf. Kaum noch Zeit, sich fürs Diner umzukleiden. Noch mehr Gespräche … Dabei wollte er doch nur seine Ruhe haben.
»Ja?«, piepste die junge Gräfin.
»Leider ist mein Schwager sehr schüchtern. Er braucht vielleicht ein wenig Ermunterung deinerseits, bevor er sich traut, offiziell um dich zu werben.«
»Ermunterung meinerseits?«
Sascha verzog den Mund. So eloquent Julia ihre treffenden Vermutungen am Vormittag hervorgebracht hatte – jetzt, wo es um sie selbst ging, war sie einsilbig wie ein schlecht dressierter Papagei.
»Ermunterung, jawohl. Schmeichle ihm! Und geize nicht mit deinen Reizen, sondern lasse ihn ruhig schon jetzt ein wenig daran teilhaben. Du bist eine gutaussehende junge Frau, nutze den Vorteil, den dir deine Schönheit bringt.«
Zufrieden beobachtete Sascha, wie sich die Gräfin bei diesen Worten aufrichtete.
»Ich bin mir sicher, dass du deine Sache sehr gut machen wirst. Ich werde dafür sorgen, dass mein Schwager in der nächsten Zeit öfter einmal von seinen Aufgaben bei den Chevalier-Gardes befreit wird. Dann liegt es an dir, Treffen zu arrangieren.« Er würde außerdem dafür sorgen müssen, dass Olly in dieser Zeit beschäftigt war, ging es ihm durch den Kopf. Und ein Auge auf Cerise musste er ebenfalls haben, damit die beiden hinter seinem Rücken keinen weiteren Unfug trieben.
»Jedenfalls wünsche ich mir, dass ihr so schnell wie möglich ein Paar werdet.« Er stand auf, um zu signalisieren, dass das Gespräch beendet war.
»Alexander und ich ein Paar? Damit würde mein allergrößter Wunsch wahr werden.« Die junge Gräfin strahlte so sehr, dass Sascha den Blick von ihr abwenden musste.
Verzeihmir, Olly, verzeih mir …
»Ich sehe, wir verstehen uns«, sagte er. »Und das ist gut so, denn weitere Missverständnisse werde ich in dieser Angelegenheit gewiss nicht dulden.«
Die verwirrte Julia hatte den Türgriff schon in der Hand, als Sascha sie nochmals zurückrief.
»Noch etwas – kein Wort zu niemandem! Sonst kann ich nicht garantieren, dass ich euch vor all den Kleingeistern und eifersüchtigen Menschen, die es am Hof leider auch gibt, zu schützen vermag.«
Julia nickte beklommen. »Und was ist mit Ihrer Verlobten? Sie ist meine Herrin, ich will sie nicht anlügen.«
Er lächelte. »Das verlangt doch keiner. Ich erwarte lediglich, dass du äußerst diskret vorgehst. Wenn du niemandem etwas sagst, brauchst du auch nicht zu lügen.«
Die Hochzeit war in vollem Gange, das Festbankett samt Champagnerausschank vonstattengegangen, als Zar Nikolaus mit seiner strahlend schönen Schwiegertochter die Polonaise in den Sankt-Georgs-Saal anführte. Der Tanz war eröffnet.
»Schau sie dir an, unsere schönen Töchter«, sagte Zarin Alexandra und wies zur
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