Die Zarentochter
Wölkchen jagten.
»Was für eine Tragödie«, seufzte Anna. »Keine zwei Jahre waren sie und Michael Kotschubej verheiratet. Sie haben sich so sehr geliebt …«
Jedes Wort bohrte sich wie ein Schwert in Ollys Herz. Am liebsten wäre sie hinausgerannt. Sie wollte allein sein mit sich und ihrer Trauer.Oder sich in ihren wohltätigen Verpflichtungen vergraben. Alles andere war so anstrengend.
Hätte sie nur nicht auf Sascha gehört! Dann säße sie jetzt allein mit Grand Folie in ihrem Zimmer und nicht hier mit der schwan geren Schwägerin und Schwester sowie deren Kinderschar. Wie konnte es sein, dass das Glück der anderen ihr weh tat?
Mary klingelte nach dem Dienstmädchen, das kurze Zeit später eine Flasche Sekt und Gläser auf den Tisch stellte.
Fassungslos schaute Olly zu, wie Mary sich daranmachte, die Flasche zu öffnen. »Das ist ja schamlos. Hast du denn gar keinen Sinn für Pietät? Wie kannst du gerade jetzt –« Sie sprang auf. Keine Minute würde sie es länger hier aushalten.
Doch als sie sich zwischen Anna und Adini hindurchschlängeln wollte, hielt die alte Freundin sie fest. »Setz dich wieder, bitte.«
Mary schenkte indessen ungerührt den Sekt ein. Die goldgelbe Flüssigkeit perlte in den fein geschliffenen Kelchen besonders schön.
»Deine Maria hätte nicht gewollt, dass wir an diesem schönen Frühlingsabend Trübsal blasen. Sie hätte auch nicht gewollt, dass du dich Tag für Tag nur für die Armen und Bedürftigen aufopferst, anstatt dein Leben zu genießen. Du kennst die Armenhäuser und -schulen der Stadt bald besser als unsere Häuser! Maria Bariatinski war eine lebenslustige junge Frau. Sie hat so gern gefeiert und kann es nun nicht mehr. Aber wir können es – deshalb hebt die Gläser und trinkt auf das Leben! Es ist das Kostbarste, was wir haben.«
Einen Moment lang zögerten die Frauen, dann taten sie es ihrer Gastgeberin gleich. Auch Olly hob ihr Glas. Zu ihrem Erstaunen prickelte der Sekt angenehm auf ihrer Zunge. Sie entspannte sich ein wenig. »Verzeih mir, ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte sie zu Mary. »Es ist nur so … Seit Marias Tod ist alles irgendwie anders geworden.« Sie zuckte mit den Schultern, besser konnte sie einfach nicht erklären, was tief in ihr rumorte.
Es war nicht nur der Verlust der geliebten Freundin. Es war auch das Wissen, wie schnell alles vorbei sein konnte. Ein heftiges Fieber, und ausgelöscht war ein strahlendes Menschenleben, noch bevor es richtig begonnen hatte.
Marywinkte ab. »Du weißt doch, dass ich mir nicht jedes Wort zu Herzen nehme. Lass uns von etwas Erfreulicherem reden. Sag, gibt es Neuigkeiten von Stephan?«
» Das nennst du erfreulicher?« Olly lachte auf. »Dann kannst du Vater die Hand schütteln. Er sagte erst gestern wieder, die ganze Angelegenheit würde zwar länger dauern als gedacht, dennoch liefe alles nach Plan.« Sie zog eine Grimasse. »Das müsse dann aber ein Plan für alle Ewigkeit sein, habe ich erwidert.«
Die Frauen tauschten einen betroffenen Blick.
»Jetzt schaut nicht so entgeistert, was ich sage, ist nichts als die Wahrheit!«, fuhr Olly auf. »Vater kann doch nicht allen Ernstes glauben, dass das mit Stephan noch etwas wird. Überlegt doch mal: Erst hieß es, die böse Stiefmutter würde meinen lieben Verlobten davon abhalten, mich zu besuchen. Dann waren es irgendwelche Krankheiten. Letztes Jahr hieß es schließlich, Stephan trauere so sehr um seine verstorbene Zwillingsschwester, dass er keine Kraft zum Reisen habe. Dann kam die Nachricht, er habe erfahren, dass auch Erzherzog Albrecht um mich werbe, woraufhin er sein ›Werben‹ eingestellt habe, weil er Albrecht nicht in die Quere kommen wollte. Als unsere Diplomaten ihm mitteilten, dass ich Albrechts Werbung abgelehnt habe, hat er sich allerdings auch nicht weiter ins Zeug gelegt.« Während sie sprach, hatte sie die Punkte an den Fingern ihrer rechten Hand abgezählt. »Sehr wichtig kann ich ihm jedenfalls nicht sein.«
»Wie bitter du klingst«, erwiderte Adini. »Wahrscheinlich siehst du alles zu schwarz. Heißt es nicht, gut’ Ding will Weile haben? Du und der ungarische Palatschinken – das wäre so schön.«
Die drei Schwestern lachten.
»Wie lange ist es her, dass Sascha mir in seinem Brief diesen Vorschlag unterbreitete?« Olly seufzte. »Vier ganze Jahre bin ich nun schon verlobt .«
Mary warf ihr einen scharfen Blick zu. »Jetzt tu nicht so mitleiderregend. Es gab Zeiten, in denen du dich ganz und gar nicht verlobt
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