Die Zarentochter
fünfstöckigen Torte in Anspruch genommen. Jedes einzelne Stockwerk war wie ein Backwerk für sich, wobei das oberste – mit Nüssen, Mandeln und Schokolade verziert – am aufwendigsten erschien. Olly wollte sich daranmachen, die Torte anzuschneiden, doch Adini war schneller.
»Sie gestatten?«, sagte sie zu Friedrich und reichte ihm ein Stück Torte aus der obersten Etage. Olly runzelte die Stirn. Das hatte sie machen wollen!
»Türkische Haselnüsse und feinstes Mandelmarzipan, dafür könnteich sterben, Sie auch?« Statt gleich den nächsten Teller zu nehmen, verweilte Adinis Blick länger als nötig auf Friedrichs Miene.
»Mir geht es ebenso«, sagte er, ohne das Tortenstück auf seinem Teller eines Blickes zu würdigen.
Olly räusperte sich. »Soll ich vielleicht die Torte weiter aufschneiden?« Der leicht gereizte Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Erst verbrachte ihre Schwester den halben Abend gemütlich im Bett, und nun spielte sie sich dermaßen in den Mittelpunkt!
Lächelnd machte sich Adini daran, auch die anderen Teller zu füllen. Olly entging nicht, dass außer Friedrich kein anderer etwas von der obersten Etage bekam. Die Eltern erhielten Stücke aus der zweiten Etage, Cerise und Sascha von der Buttercremetorte im mittleren Teil und Olly teilte Adini ein Stück schlichten Obstkuchen aus dem untersten Stockwerk zu. Normalerweise hätte Olly deswegen protestiert, doch heute wollte sie kein Aufhebens machen. Stattdessen wandte sie sich wieder an ihren Gast: »Lieber Friedrich, ich wollte Ihnen doch gerade vom St.-Georgs-Kreuz erzählen, welches unsere tapferen Soldaten im Kaukasuskrieg verliehen bekommen. Und von den prachtvollen Uniformen der Nischni-Nowgorod-Dra goner.«
Friedrich nickte beiläufig. »Davon habe ich schon gehört«, sagte er. »Großfürstin Alexandra, Sie frösteln ja. Ist Ihnen kalt wegen der Zugluft? Wollen wir die Plätze tauschen?« Schon war er im Begriff aufzustehen.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Adini und zog ihr Schultertuch enger um sich. Friedrich beeilte sich, ihr dabei zu helfen.
Ollys Lippen kräuselten sich missbilligend, ihre linke Fußspitze wippte nervös auf und ab.
»Kosty wird uns sicher auf unserer Bootsfahrt begleiten, nicht wahr, Olly?«, sagte Mary.
Olly, die das Gespräch der anderen nicht mitbekommen hatte, nickte stumm.
»Ihr wollt eine Bootsfahrt machen?« In Adinis Augen leuchtete ein Strahlen auf, nur um im nächsten Moment wieder zu erlöschen. »Wenn ich doch nicht so schnell seekrank werden würde …«
»Aberdagegen gibt es einen Trick. Man muss nur auf eine bestimmte Art geradeaus schauen«, sagte Friedrich. »Wenn Sie mögen, zeige ich Ihnen das gern.«
»Das würden Sie tun? Wirklich?«
Wirklich? , äffte Olly ihre Schwester stumm nach. »So kränklich, wie du dich heute Nachmittag noch gezeigt hast, ist eine Bootsfahrt gewiss nicht das Richtige für dich«, sagte sie mit geschürzten Lippen.
»Vielleicht würden mir die Strapazen leichter fallen, wenn Landgraf Friedrich dabei an meiner Seite wäre«, sagte Adini leise. Sie und der Gast schauten sich dabei tief in die Augen.
Nach der Torte wurden Mokka und Likör aufgetragen. Zar Nikolaus und die anderen Herren zündeten sich Zigarren an. Normalerweise war dies der Zeitpunkt, an dem sich die Damen zurückzogen – in der Intimität der Eremitage war dies jedoch nicht vorgesehen, und so blieb die Tischrunde auch dann noch zusammen, als dicker Zigarrenqualm durch den Raum zog. Olly, die geglaubt hatte, dass Adini nun rasch das Weite suchen würde, wurde eines Besseren belehrt. Seltsamerweise machte der Rauch der jüngeren Schwester heute nichts aus. Sie schien nicht einmal ihr gelegentliches Husten wahrzunehmen, so angeregt unterhielt sie sich mit Friedrich.
Es war nicht so, als wäre er Olly gegenüber unhöflich. Er beantwortete jede ihrer Fragen, richtete auch immer wieder einmal das Wort an sie, doch nur um sich gleich darauf wieder Adini zu widmen.
Was ging hier vor? Welches unsichtbare Band wurde zwischen Adini und Friedrich geknüpft?
Auch Mary schien bemerkt zu haben, dass sich seit Adinis Eintreffen etwas gewandelt hatte. Immer wieder nickte sie Olly auffordernd zu, was diese nicht verstand: Sollte sie Friedrich etwa mit Gewalt von Adini entfernen? Sollte sie der Schwester das Wort verbieten?
Olly lächelte, bis ihr der Mund steif wurde. Doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Mit einem knappen Nicken verabschiedete sie sich. Den behäbigen
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