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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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aufzumachen, aus lauter Angst, ein falsches Wort zu sagen.« Sie konnte nichts gegen den abfälligen Ton in ihrer Stimme tun. »Ständig fragt sie mich, ob sich dieses ziemt und jenes, gerade so, als ob ich ihre Gouvernante wäre! Sie ist mit unseren Gepflogenheiten so gar nicht vertraut. Julie Baranow und Mrs Brown lachen hinter ihrem Rücken auch schon über sie. Diese Kuh wird meiner geliebten Charlotte nie das Wasser reichen können.« Olly sprang so rasch vom Bett auf, dass das kleine Windspiel erschrocken zusammenzuckte.
    »Dass Mary Charlotte davongejagt hat, werde ich ihr nie verzeihen«, sagte sie und rannte aus dem Zimmer.

6. KAPITEL
    G ibt es etwas Schöneres als unser St. Petersburg im ersten Schnee?«, sagte Alexandra Feodorowna zu ihrem Mann, als sie auf dem Weg in die Oper waren. Eine Hand unter Nikolaus’ Ellenbogen gesteckt, schaute sie gedankenverloren aus dem Fenster des Pferdeschlittens.
    Vor einer Woche hatte es zum ersten Mal geschneit, noch war das Weiß auf den Dächern der Paläste, auf den Straßen, Brücken und Kanalmauern jungfräulich rein, und selbst die goldene Kuppel der Isaakskathedrale wies ein weißes Hütchen auf.
    Alexandra liebte diese ersten Wintertage, in denen die Kutschen endgültig eingemottet wurden und auf Hochglanz polierte Schlitten deren Stelle einnahmen.
    Schon jetzt war es deutlich spürbar: Der Rhythmus der Stadt wurde gemächlicher, ihre Geräusche gedämpfter, gerade so, als wolle nichts die weiße Jungfräulichkeit erschrecken. Das Klacken der Pferdehufe war leiser als sonst, das Wasser in den Kanälen floss langsamer, hier und da waren schon einzelne Eisschollen zu sehen. Wenn die Kanäle gänzlich zugefroren waren, kamen die Brückenmeister zum Einsatz: Sie würden die Brücken abbauen und bis zum Eisgang in riesigen Hallen lagern, denn im Winter konnten die Menschen zu Fuß über die vereiste Newa oder die Fontanka von einem Ufer zum anderen gelangen. Die Ruderboote, die in der warmen Jahreszeit Fußgänger dort übersetzten, wo es keine Brücken gab, wurdenebenfalls eingelagert, und die St. Petersburger sparten die Kopeke fürs Übersetzen.
    Überall an den Ufern würden Männer mit großen Pickeln und Sägen damit beschäftigt sein, ellenlange Stücke Eis aus der Newa zu schneiden. Die Schlitten, die für den Abtransport der Eisquader in die Paläste bereitstanden, würden die Straßen und Kanäle verstopfen. Das Eis aus der Newa wies Schattierungen von Aquamarin bis zu einem zarten Grün auf.
    Genießerisch hob die Zarin die Nase und atmete den Duft nach Honig und Zimt ein, der seit wenigen Tagen die Straßen erfüllte und der von dem heißen süßen Getränk herrührte, das die Sbitenverkäufer mit ihren dick in Tücher eingewickelten Samowaren an jeder Straßenecke verkauften.
    Einen Moment lang war Alexandra versucht, ihren Mann zu bitten, die Kutsche anhalten und sich einen Becher des würzigen Tranks geben zu lassen – der Duft erinnerte sie so sehr an den Glühwein aus ihrer Kindheit! Doch sofort verwarf sie diesen Gedanken wieder. Nikolaus befürchtete bestimmt, bei einem solch ungeplanten Zwischenhalt Wegelagerern oder Aufrührern in die Hände zu fallen. Mit einem stummen Seufzen wandte Alexandra ihren Blick in die andere Richtung.
    In diesen ersten Wintertagen hatte die kalte Jahreszeit noch ihren verheißungsvollen Charme, man freute sich auf die vielen Monate voller Festlichkeiten, die vor einem lagen.
    Man freute sich an der Wintergarderobe, die so viel aufwendiger war als die des Sommers, die mehr Putz erlaubte, schwere Stoffe und enggeschnürte Stiefelchen.
    Man freute sich auch noch an den Pelzen, die einen – frisch aufgebürstet und nach Lavendel duftend – umhüllten und warm hielten.
    Es hätte ein wundervoller Winter werden können …
    Dieses Mal war Alexandras Seufzen so laut, dass es ihr einen Seitenblick von Nikolaus eintrug.
    »Ist etwas, meine Liebe?«
    »Ach, eigentlich ist nichts«, winkte sie ab und bewunderte im Schein der Laternen die funkelnden Diamanten an ihrer rechten Hand.»Bestimmt sagst du gleich, ich soll mir meinen hübschen Kopf nicht zerbrechen. Aber es geht um Olly! Seit Charlotte Dunkers Abschied sind Wochen vergangen, und sie lässt immer noch nicht mit sich reden. Nikolaus, ich befürchte, wir haben einen Fehler gemacht.«
    Der Zar legte einen Arm um seine Frau. »Ich bin froh, die Frau los zu sein. Schau dir doch an, was sie aus Olly gemacht hat: eine langweilige, sauertöpfische

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