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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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doch nicht gedacht, dass Mutter und Vater …«
    Flehentlich schaute Mary die Schwester an, doch Olly dachte nicht daran, sie zu erlösen.
    Du denkst ja nie im Voraus über die Folgen deines Tuns nach, lag es ihr auf der Zunge zu sagen. Und wir anderen können dann die Suppe auslöffeln, die du uns eingebrockt hast! Stattdessen blätterte sie demonstrativ eine Seite in ihrem Geschichtsbuch um. »Vielleicht hast du Zeit für sinnlose Gespräche, ich habe keine«, sagte sie kühl. »Es könnte allerdings nicht schaden, wenn du deine Nase öfter einmal in Bücher und nicht in die Angelegenheiten anderer Leute stecken würdest.« Bald würde sie Mary in ihren Studien eingeholt haben, frohlockte sie stumm. Von wegen drei Jahre Vorsprung!
    Irritiert schaute Mary sie an. »Ich soll meine Nase in die Bücher stecken? Was soll denn das jetzt?«
    Olly seufzte so geziert wie möglich. »Charlotte hatte schon recht, als sie behauptete, du wärst ein wenig schwer von Begriff …« Während sie sprach, ruhte ihr Blick auf der älteren Schwester, die wie immer der neuesten Mode entsprechend gekleidet und perfekt frisiert war – ein Aufwand, der allmorgendlich Stunde um Stunde in Anspruch nahm. Wenn Mary nur halb so viel Zeit darauf verwenden würde, an andere Menschen zu denken!
    Bisherhatte Olly ihre Schwester für deren selbstbewusstes Auftreten und ihre Eleganz stets bewundert, vielleicht sogar ein wenig darum beneidet. Die vielen Verehrer. Vaters stolzer Blick, wenn Mary den Raum betrat. Und wenn schon, dachte Olly abfällig bei sich. Lieber war sie eine graue Maus als eine hübsche Verpackung ohne sinnvollen Inhalt. Wie Mary wollte sie jedenfalls nie werden!
    »Olly, liebes Küken, möchtest du heute bei mir schlafen? Ich lasse uns heißen Kakao bringen und erkläre dir nochmals in aller Ruhe, warum Charlotte hat gehen müssen.«
    Heißer Kakao bei der Mama im Bett! Fast wurde Olly schwach. »Sie brauchen mir nichts erklären«, sagte sie tapfer und ging aus dem Zimmer. Das kleine Windspiel mit dem seidigen Fell, das die Mutter ihr geschenkt hatte, trabte hinter seiner unglücklichen Besitzerin her.
    Ein eigener Hund – das war immer Ollys Traum gewesen. Nicht wie die Jagdhunde, die in den Zwingern untergebracht waren und die man nur unter Aufsicht streicheln durfte.
    Bisher hatten die Eltern davon nichts hören wollen – am Ende wollte jedes Kind seinen eigenen Vierbeiner, man stelle sich diesen Trubel nur einmal vor!
    Ich weiß genau, warum Sie mir gerade jetzt meinen Herzenswunsch erfüllen! , hätte Olly der Mutter am liebsten entgegengeschrien, als die mit dem Körbchen samt Hund darin ankam. Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben!
    Sie nannte den Hund »Grand Folie« – große Dummheit. Das Tier sollte jeden an die Übeltat erinnern, die an Charlotte und ihr begangen worden war.
    Als die Familie am Ende der Sommersaison von Peterhof zurück in die Stadt umsiedelte, konnte sich Olly ein Leben ohne den Hund allerdings schon nicht mehr vorstellen. Nun war er derjenige, dem sie alles erzählte. Nun begleitete er sie auf Schritt und Tritt. Allabendlich schmiegte sie sich an ihn und genoss die Wärme, die von dem stets etwas zitternden Hundekörper ausging. Doch weder der Hund nochdie beginnende Wintersaison in St. Petersburg erreichten, dass Olly bald über den Verlust ihrer ältesten Freundin hinwegkam.
    Bekümmert schaute Olly die Schwester an, die mal wieder mit einer Erkältung das Krankenbett hüten musste.
    »Was machst du nur für Dinge? Manchmal habe ich das Gefühl, all die Gewaltmärsche, die Mrs Brown mit dir unternimmt, schaden dir eher, als dass sie dich abhärten. Erinnerst du dich, Charlotte hat diese Vermutung auch einmal geäußert, Mrs Brown war des wegen fuchsteufelswild. Und wir haben Charlotte ausgelacht …« Wie so oft in letzter Zeit schossen Olly die Tränen in die Augen.
    »Olly, nicht! Wenn du weinst, muss ich auch weinen. Und dann bekomme ich keine Luft«, röchelte Adini. Mit Ollys Hilfe setzte sie sich ein wenig im Bett auf. Sogleich sprang Grand Folie zu ihr auf die Decke und leckte ihr übers Gesicht. Die Schwestern lachten unter Tränen.
    »Diese neue Gouvernante, Madame Doudine, wie ist sie denn so? Erzählt sie etwa gruselige Geschichten aus ihrer Zeit als Vorsteherin des Petersburger Waisenhauses? Werden die Kinder dort wirklich mit Ketten angebunden? Und bekommen sie nur trockenes Brot zu essen?«
    Olly winkte ab. »Gar nichts erzählt sie. Madame Doudine traut sich doch kaum, den Mund

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