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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Spätsommer des Jahres 1836 kam es schließlich zum Eklat.
    RussischeWinter sind lang, kalt und dunkel, also trachteten die Menschen danach, im Sommer und Herbst so viel Zeit wie möglich im Freien zu verbringen. Auch in der Zarenfamilie waren sich alle einig: Um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, gab es keinen besseren Ort als Peterhof, die idyllisch am Finnischen Meerbusen gelegene Residenz.
    Als die Familie im Spätsommer des Jahres 1836 anreiste, bezog sie nicht wie sonst den großen Palast, sondern ihr nahe gelegenes Landhaus Alexander. Vor allem der Zar schätzte die einfachen Rituale, die sich rund um das Landhaus rankten: Allmorgendlich holte er höchstpersönlich – nur in seinen Soldatenrock gekleidet – die Milch vom Bauern. Beim gemeinsamen Frühstück auf dem Balkon, in den vorwitzige Zweige mit kleinen harten Äpfeln hineinwuchsen, wurde keine Konversation gemacht, sondern Zeitung gelesen.
    Auch Olly und ihre Geschwister liebten das Landleben: Adini und die kleineren Brüder amüsierten sich stundenlang im großen Park von Peterhof mit den Scherzbrunnen, die einen immer dann mit Wasser bespritzten, wenn man nicht daran dachte.
    Olly und Kosty hingegen waren am liebsten am Ostseeufer. Während sich Kosty aus Treibholz kleine Boote bastelte, suchte Olly nach Bernstein und hatte schon nach ein paar Tagen eine stattliche Sammlung beieinander. Es war der Beginn ihrer mit den Jahren immer umfangreicher werdenden Mineraliensammlung.
    Mary und die Mutter wiederum hielten im kleinen Schlösschen Monplaisir ihre Teestunden ab und schwelgten dabei in Berliner Erinnerungen. Doch irgendwann hatte Alexandra sämtliche von Marys Geschichten oft genug gehört und widmete sich lieber wieder ihren Handarbeiten und Liebesromanen. Deshalb suchte Mary fast zwangsweise wieder die Nähe ihrer Schwestern.
    »Schaut euch nur die prächtigen Getreidefelder an! Und die saftigen grünen Wiesen! Und die Apfelbäume, deren Äste schon ernteschwer nach unten hängen!« Mary machte eine so weit ausholende Handbewegung, dass die Ohren des links laufenden Kutschpferdes nervös nach hinten zuckten.
    Olly,die ihr Gesicht der untergehenden Sonne entgegenhielt, lachte. »Willst du den Heimatdichtern Konkurrenz machen? Aber du hast recht, heute ist wirklich ein herrlicher Tag.«
    Wie an jedem Nachmittag waren die drei Schwestern mit dem Phaeton unterwegs, einer besonders bodenläufigen Kutsche ohne Dach. Marys bevorzugtes Ziel war das Dorf Novaja Derewnja, in dem die Gardekavaliere ihres Vaters Quartier bezogen hatten. Meistens wurden sie von Julie Baranow begleitet, die entweder nicht mitbekam, wie Mary dem einen oder anderen Kavalier einen Blick zuwarf, oder ein Auge zudrückte.
    An diesem Tag jedoch fühlte sich Julie unpässlich, daher begleitete Charlotte die jungen Frauen. Am liebsten hätte Olly den Ausflug in dieser Konstellation abgesagt, weil sie wieder einmal Ärger zwischen Charlotte und ihrer Schwester befürchtete, doch nun genoss sie wie alle anderen die satten Farben des Spätsommers.
    Wie gut es duftete! Nach Äpfeln und Erde und feuchtem Gras.
    »Ob Wassili Shukowski jemals ein Gedicht über diese Zeitspanne zwischen Sommer und Herbst geschrieben hat?«, fragte sie mit verträumtem Lächeln.
    Shukowski war einst der Lehrer ihrer Mutter gewesen und nun für Saschas Bildung zuständig. Er war außerdem ein sehr bekannter Dichter, für dessen einfühlsame Verse alle drei Schwestern schwärmten.
    Mary warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Wenn nicht, soll er etwas darüber schreiben, sofort! Russlands Schönheit kann man gar nicht oft genug in Worte fassen. Glaubt mir, nie und nimmer werde ich unser geliebtes Russland verlassen. Entweder ich heirate einen Russen, oder ich heirate gar nicht!«
    Charlotte lachte. »Und wofür war dann Ihre Berlinreise gut? Da werden Ihre Eltern gewiss auch ein Wörtchen mitreden wollen.«
    Mary funkelte die Gouvernante an. »Das werden wir noch sehen.« Doch gleich darauf wurde ihr Ton wieder versöhnlicher. »›Das Wichtigste im Leben ist die Liebe‹, sagt Mutter immer, da können Sie meine Liebe zu Russland nicht einfach beiseitewischen. Oh schaut nur, die ersten Graugänse, die sich für ihren Zug nach Süden fertig machen.«
    Inzwischen hatten sie das Dorf erreicht. Die Kutschpferde wieher ten laut,als sie im Schritttempo an den Pferden der Soldaten vorbeikamen. Überall waren Männer mit der Pflege der Tiere beschäftigt: Hier wurde ein Rappe gestriegelt, da einem Braunen neue

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