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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die Einladungen für heute Abend ins Haus.«
    »Die Schwägerin unseres Zaren versteht sich darauf, interessante Menschen zusammenzubringen, sicher ein Resultat ihrer in Paris verbrachten Jugend, wo sie selbst viel Kontakt zu außergewöhn lichen Persönlichkeiten hatte. Ihre Literarischen Abende sind einmalig, daher bin ich überzeugt davon, dass auch der Ball heute etwas ganz Besonderes wird.«
    *
    »Mary, liebe Mary, jetzt komm doch mit! Tante Helene hat halb St. Petersburg eingeladen, um uns eine Freude zu machen. Es ist das erste große Fest nach dem Brand.« Ungelenk versuchte Olly, die Schwester, die ihr Gesicht in beiden Händen vergraben hatte und weinte, in den Arm zu nehmen.
    »Bitte, lass mich nicht allein gehen, du weißt doch, dass ich ohne dich vor Aufregung sterbe!«
    Mit tränenüberströmten Augen schaute Mary schließlich auf. »Olly, versteh doch, ich kann nicht! Mir ist nicht nach Feiern zumute. So wie wir hier hausen, kann es einem Menschen doch nur elend gehen.«
    »Wie bitte?«, fragte Olly fassungslos. »Du hast dir doch das größte und sonnigste Schlafgemach im ganzen Palais ausgesucht, dagegen sind Adinis und meine Räume Abstellkammern! Und es ist dir immer noch nicht gut genug?«
    »Du willst mich einfach nicht verstehen. Meine Berliner Couture-Kleider, mein Schmuck – alles unwiderruflich verloren! Da soll ich Lust aufs Ausgehen haben?« Schon schluchzte die ältere Schwester wieder los. »Mit dem, was es in St. Petersburg zu kaufen gibt, kom me ich wie eine Landpomeranze daher.«
    OllysMitgefühl hielt sich in Grenzen. Im Gegensatz zu ihr hatte Mary einen Großteil ihrer Habseligkeiten retten können. Ihre Kämme, ihr silberner Handspiegel, ein emaillierter Trinkbecher – alles lag wie früher im Winterpalast auch hier an Ort und Stelle, weil ein ihr zugetaner Offizier des Preobrajenski-Regiments ihren Schreib- und Toilettentisch leer geräumt hatte.
    Und was ihre Kleider anging: Hätte sich Mary wie Adini und sie damit zufriedengegeben, vorerst im nahe gelegenen Kaufhaus Gostiny Dwor neue Kleider zu kaufen, wäre ihr Schrank heute nicht leer. Aber nein, Mary musste ja unbedingt mit ihrer Mutter in die feinsten Schneiderateliers von St. Petersburg gehen! Dass aufwendige Maßanfertigungen ihre Zeit brauchten, wusste jeder. Welchen Grund hatte Mary also für ihre Wehklagen?
    Olly holte tief Luft. »Wie du meinst, dann gehe ich allein«, sagte sie und machte auf dem Absatz kehrt.
    »Mir gefällt das Kleid, da kann Mary sagen, was sie will.« Olly drehte sich vor dem Spiegel einmal um die eigene Achse. Das äußerst schmal geschnittene Kleid war in einem zarten Hellblau gehalten, kombiniert mit einem Goldton. Es hatte enganliegende Ärmel und kam gänzlich ohne Spitze aus.
    »Was für ein Glück, dass du mit deinen knapp sechzehn Jahren schlank wie eine Pappel bist«, sagte Anna, die mit bewunderndem Blick danebenstand.
    Olly trat näher an den Spiegel heran, beäugte sich kritisch – kein Pickel, keine gerissenen Äderchen, sie war sehr zufrieden mit sich. Seit Anna vor ein paar Tagen ihre Augenbrauen mit einer Pinzette in schmale, hohe Bögen verwandelt hatte, wirkten ihre Augen noch größer und strahlender als zuvor. Wie von Zauberhand hatte ihr Gesicht in den letzten Monaten einen Teil seiner kindlichen Weichheit verloren, ihre Wangenknochen zeichneten sich schärfer ab, ihr Kinn und der Übergang zum Hals waren klarer definiert.
    Olly lächelte ihr Spiegelbild an. »Tante Helene hat wirklich eine gute Idee gehabt.« Sie hob das Kinn noch ein wenig mehr, schob die Schultern noch etwas nach hinten, dann schritt sie in ihren Seiden stiefelchendurchs Zimmer. Das fühlte sich gar nicht so schlecht an. »Schau, gehe ich so richtig?«
    »Gut machst du das, so wirkst du noch größer und schlanker und kommst wahrhaft königlich daher! Aber jetzt setz dich wieder, die Zofen deiner Mutter haben nicht ewig Zeit.«
    Nach einer halben Stunde war die Frisur fertig. Zum Abschluss hatte die geschicktere der beiden Zofen seitlich einen kleinen Diamantstern eingefügt. Bei der kleinsten Bewegung, die Olly machte, funkelte das Schmuckstück und zauberte glänzende Lichter in ihr Haar.
    »Du bist wunderschön! Die jungen Herren auf Helenes Fest werden Schlange stehen, um auch nur ein Wort mit Ihrer Hoheit wechseln zu dürfen«, sagte Anna.
    »Bisher standen die Herren nur bei Mary an«, sagte Olly zögernd und kämpfte gegen das wilde Rumoren in ihrem Bauch, das wie aus dem Nichts gekommen war.

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