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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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– ein Mörder? Die Zahl seiner Gegner steige im selben Maß wie seine Beliebtheit, hörte Olly ihren Vater immer wieder klagen. Und dass er deswegen Augen und Ohren überall haben müsse. Auch die Kinder seien einer gewissen Gefahr ausgesetzt …
    »Verehrte Hoheit, bitte!« Der Bursche sah so verzweifelt aus, dass jeder Gedanke an eine Palastrevolte weggewischt war.
    »Warte draußen!« Olly sprang aus dem Bett. »Was ist mit meinen Geschwistern?«, schrie sie durch die angelehnte Tür. Strümpfe, Socken, noch einen Unterrock, falls man sich länger würde draußen aufhalten müssen, das dicke Samtkleid, nein, zu viele Ösen, besser das Wollkleid! Mütze, Schal, Handschuhe.
    »Allein Sicherheit, das Feuer hat diesen Teil des Palastes bisher nicht erreicht«, sagte der Bursche. »Aber Hofmarschall Malikow meint, das komme noch!«
    Diese letzte Bemerkung ließ Olly noch hastiger agieren.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie durch einen Feueralarm nachts aus den Betten gerissen wurden, gerade im Winter, wenn viele Kamine, Öfen und Feuerstellen beheizt wurden, konnte ein Herdfeuer schon einmal auf die Küche oder einen der Wirtschaftsräume übergreifen. Solche Brände waren mit vereinten Kräften schnell gelöscht, derjenige, durch dessen Nachlässigkeit das Feuer entstanden war, bekam seine Strafe, und das Leben ging weiter.
    Wenn aber Malikow glaubte, diesmal sei es ernst …
    »Olga, bist du fertig?« Anna schob den Kammerjungen grob zur Seite. Unter ihrem Pelzmantel lugte die weiße Spitze des Nachtkleides hervor. »Beeil dich, es brennt lichterloh!«
    »Anna, du musst mir helfen …« Hektisch schaute sich Olly in ihrem Zimmer um. Die Bibel! Ihre Tagebücher! Ihre schönen neuen Kleider, Grand Folies Körbchen …
    »Wir haben keine Zeit!«, rief Anna, während Olly wahllos nach diesem und jenem Gegenstand griff.
    Türen wurden aufgerissen, Adini und Mrs Brown, Kosty, Nisi und Mischa mit ihren Kindermädchen schlossen sich ihnen an. Der Gestank nach Rauch wurde aufdringlicher. Grand Folie zappelte auf Ollys Arm. Sie versuchte, das Hündchen festzuhalten, ohne ihm weh zu tun. Doch es sprang jaulend zu Boden und rannte davon.
    »Grand Folie! Bleib hier! Nicht dorthin …« Olly wollte ihm nachlaufen. »Lass mich, mein Hund!«, kreischte sie, als Anna sie am Ärmel festhielt.
    »Endlich, da seid ihr ja. Der Petersaal ist verloren, dort steht schon ein Teil des Daches in Flammen, also los, beeilt euch!« Mit wehendem Gehrock kam Zar Nikolaus ihnen von der Treppe entgegen.
    Olly sah ihn flehentlich an. »Grand Folie ist fortgerannt! Papa, wir müssen ihn suchen …«
    »Nichts da, ihr müsst hier raus. Mary und Sascha sind auch schon aufdem Hof«, rief Nikolaus gegen das lauter werdende Knacken und Zischen an, dann scheuchte er sie davon.
    »Ab mit euch ins Palais Anitschkow, ich werde versuchen zu retten, was zu retten ist!«
    Das Feuer wütete dreißig Stunden lang. Jahrzehnte hatte es gedauert, den weitläufigen Palast zu erbauen. Am vorletzten Dezembertag des Jahres 1837 wurde in kurzer Zeit alles zerstört: Fenster zerbarsten mit lautem Knall, Teile des Daches fielen ein, der ganze Palast war verloren.
    Zar Nikolaus und große Teile des in der Nähe des Winterpalastes angesiedelten Preobrajenski-Regiments retteten so viele Bilder, Spiegel und Kunstwerke aus den Prunksälen wie möglich, während die Flammen immer näher kamen. Dank einer eilends errichteten Brandmauer wurde die Eremitage verschont. Nicht auszudenken, welche Kunstschätze sonst vom Feuer verschlungen worden wären!
    Als hätte ein Unglück in dieser Nacht nicht gereicht, brannte es in einem weiteren Stadtteil von St. Petersburg. Nikolaus blieb nichts anderes übrig, als einen Teil der Löschtruppen unter Führung seines Sohnes Sascha dorthin zu schicken.
    Nach und nach trafen Truppen aus entfernter liegenden Kasernen ein. Unter Nikolaus’ Leitung gelang es den Männern, auch aus den Privatgemächern einen Teil der Möbel, Teppiche und Bilder zu bergen. Sogar die Liebesbriefe, die er seiner jungen Verlobten einst nach Berlin geschrieben hatte, waren dabei.
    Schwarz vom Staub, erschöpft und übernächtigt eilte der Zar am nächsten Morgen zu seiner Familie, auf dem Arm ein graues Fellbündel, das zu winseln begann, kaum dass es Olga gewahr wurde.
    »Grand Folie!« Olly, die die ganze Nacht hindurch nicht auf gehört hatte zu weinen, schluchzte erneut auf. Während sie ih ren Hund herzte und drückte, zählte der Zar die riesigen Verluste

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