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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Träume vor der Nase weg? Immerhin ist sie als Erste dran.«
    Anna musste sich ein Grinsen verkneifen. War das dieselbe Olga, die vor kurzem von dem anstehenden Heiratskarussell noch gar nichts hatte wissen wollen?
    »Das, mein liebes Kind, wirst du wohl verhindern müssen. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass die Gefahr allzu groß ist, eure Geschmäcker sind doch sehr verschieden.«
    Olly sprang vom Stuhl auf. »Worauf warten wir dann noch? Lass uns zurück nach Petersburg fahren, wir haben viel zu tun!«
    Von diesem Tag an änderte sich fast alles. Olly wies Anna an, all die Termine wieder zu vereinbaren, die sie zuvor abgesagt hatte. Sie ließ sich bei der Schneiderin neue Kleider anfertigen und bei der Hutmacherin die passenden Kopfbedeckungen dazu. Sie suchte sich bei Madame Ruschkowa drei wundervolle Fächer aus, um die Anna sie heftig beneidete.
    Jetzt, da all diese Unternehmungen nicht allein um ihrer selbst willen unternommen wurden, sondern Olly sie als Mittel zum Zweck betrachten konnte, fand sie plötzlich Gefallen an ihnen. Voller Eifer blätterte sie Musterbücher durch, ließ sich Dutzende von Gelbtönen vorlegen, bis sie endlich den richtigen Stoff für ein neues Frühlingskleid gefunden hatte. Und als es darum ging, Abendfrisuren auszuprobieren, konnte sie gar nicht genug bekommen. Dies mochten zwar oberflächliche Vergnügungen sein, aber sie bereiteten wirklich Spaß, stellte sie erstaunt fest.
    Anna schien es fast, als würde sich Olly mit jedem neuen Kleid auch neues Selbstvertrauen zulegen. Dies zeigte sich zudem in den Gesprächen bei Tisch: Seit neuestem ließ Olly nicht mehr zu, dass Mary diese dominierte. Sie stellte sich zwar nicht in den Mittelpunkt wie die ältere Schwester – das war nicht ihre Art –, aber sie ging im mer öfteraus sich heraus, sagte zu diesem Thema ihre Meinung, äußerte zu jenem Gedicht ihre Gedanken.
    »Stellt euch vor, vor ein paar Tagen fragte mich unsere Cousine Sophia doch tatsächlich, ob ich mit ihr Schlittschuhlaufen gehe«, sagte Mary eines Tages während eines Abendessens in familiärer Runde. »Tante Helene sollte ihren Töchtern wirklich erklären, dass eine solche Freizeitbeschäftigung für eine junge Dame viel zu kindisch ist.«
    »Warum soll Schlittschuhlaufen kindisch sein? Mir macht das nach wie vor Spaß«, antwortete Olly nach kurzem Zögern. »Außerdem – sich in der frischen Luft zu bewegen und sein körperliches Wohlbefinden zu stärken ist doch nichts Schlechtes. Mens sana in corpore sano – heißt es nicht so?«, fügte sie hinzu und schaute fragend in die Runde. Mary, deren Lateinkenntnisse sehr zu wünschen übrigließen, runzelte die Stirn, während der Zar zustimmend nickte und zu einem begeisterten Vortrag über körperliche Ertüchtigung anhob.
    Anna, die wusste, wie schwer Olly das Reden vor Erwachsenen normalerweise fiel, freute sich.
    »Welchen Zaubertrank haben Sie Ihrem Zögling nur gegeben? So eloquent kenne ich Großfürstin Olga gar nicht«, meinte Wassili Shukowski nach diesem besonders anregenden Gespräch beim Abendessen.
    Anna lächelte. »Sie sagten doch, es gehe darum, aus Ollys Anlagen das Beste herauszuholen. Nichts anderes versuche ich gerade.«
    Es war zwar keine Wandlung über Nacht, aber im Laufe der Monate wurde aus dem schüchternen Kind eine lebensfrohe und attraktive junge Frau, in deren Nähe sich die Menschen gern aufhielten.
    Der Zar war hochzufrieden mit Ollys Fortschritten und äußerte sich lobend gegenüber Anna. Die Zarin wiederum nahm Olly auf eine kleine Reise nach Prag mit und war danach ebenfalls voll des Lobes darüber, welch angenehme Reisebegleitung ihre zweitälteste Tochter geworden war. Olly selbst schwärmte noch wochenlang von der Goldenen Stadt, in der sie sich sehr wohl gefühlt hatte.
    Anna war erleichtert – fügte sich nicht alles ganz wunderbar?

9. KAPITEL
    G roßfürstin, wachen Sie auf! Der Palast brennt!«
    Jemand rüttelte unsanft an Ollys Schulter und riss ihr im nächsten Moment die Decke vom Leib.
    »Schnell anziehen, Schuhe, Kleider, Mantel! Die Kutsche wartet schon!«
    »Der Palast …« Einen Moment lang wusste Olly nicht, ob sie sich in einem wirren Traum befand. Sie hatte Weintrauben gegessen, da war ein Rappe mit feuerrotem Zaumzeug und –
    Abrupt fuhr sie hoch. »Der Palast brennt?«
    Sie kannte den Kammerjungen nicht, der nur mit einer Kerze in der Hand im Türrahmen stand. Womöglich war das ein aufrührerischer Rebell? Ein Entführer oder schlimmer noch

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