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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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auf.
    Olga war dies alles gleichgültig: Ihr Hund war gerettet, und nur das zählte. Außer ihr frohlockte noch jemand: Kosty. Das Feuer hatteall seine Lehrbücher verschlungen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es seinen verhassten Lehrer Lütke auch noch außer Gefecht setzen können!
    »Meine liebe Madame Okulow, Sie strahlen ja übers ganze Gesicht!« Obwohl draußen eisige Ostwinde an Laternenpfählen rüttelten, stand Wassili Shukowski mit seiner Pfeife an einem geöffneten Fenster. Als Anna näher kam, schloss er es eilig.
    »Danke. Mir geht es auch blendend«, erwiderte sie.
    »Anderen offenbar auch«, sagte der Lehrer, als aus dem Salon lautes Kinderlachen ertönte.
    Anna runzelte die Stirn. »Fallen etwa schon wieder Schulstunden aus, weil nicht genug Platz für alle ist? Nach Geschichtsunterricht hört sich das jedenfalls nicht an.«
    »Da täuschen Sie sich, meine Liebe. Vor ein paar Tagen kam unser verehrter Kollege Lenz mit einer Holzkiste voller Gussformen daher: Soldaten, Pferde, Kanonen. Seitdem sind die drei Jungen mit Rieseneifer dabei, ihre im Feuer verbrannten Zinnsoldaten durch selbstgegossene zu ersetzen.«
    »Zinn gießen im Salon?« Manchmal hatte die räumliche Enge im Palais Anitschkow seltsame Auswirkungen.
    Die Renovierungs- und Wiederaufbauarbeiten am Winterpalast würden Jahre in Anspruch nehmen, hatte der Zar kurz nach dem Brand verkündet. Also blieb den Familienmitgliedern nichts anderes übrig, als sich mit einem Leben im wesentlich kleineren Palais Anitschkow zu arrangieren: Die Kinder schliefen zu zweit oder zu dritt in einem Raum und freuten sich, wenn wieder einmal Unterrichtsstunden ausfielen, weil nicht genügend Studierzimmer vorhanden waren.
    Auch Annas Kammer war kleiner als jene im Winterpalast, doch das störte sie nicht. Im Gegenteil: Das Leben im Palais Anitschkow erinnerte sie auf angenehme Weise an ihr eigenes Zuhause.
    »Es ist schon erstaunlich, wie gut wir uns alle hier eingewöhnt haben, nicht wahr?«
    »Sagen wir mal, fast alle«, bemerkte Shukowski und nickte bedeutungsvollin die Richtung von Marys Räumlichkeiten. »Aber was den Geschichtsunterricht im Salon angeht – es kommt noch besser«, fügte er schmunzelnd hinzu. »Heute ist nämlich die Be malung der Figuren an der Reihe. Und damit die nur ja authentisch ausfällt, hat Monsieur Gilles einen ganzen Stapel Stiche und Ansichtsbücher aufgetrieben. Wenn er seine Kenntnisse in Waffen- und Uniformkunde zum Besten gibt, ist es da drinnen mucksmäuschenstill.«
    »Auch eine Art, Lehrstunden abzuhalten«, befand Anna. »Aber nun müssen Sie mich bitte entschuldigen.« Unruhig schaute sie zur Treppe, sie wollte dringend zu Olga.
    Shukowski war ihrem Blick gefolgt. »Heute ist der große Tag, nicht wahr? Die Großfürstin Olga besucht ihren ersten Ball. Kein Wunder, dass Sie bestens gelaunt sind und bestimmt auch ein bisschen aufgeregt.«
    Ein bisschen aufgeregt? Das war mehr als untertrieben.
    Während aus dem Salon Monsieur Gilles’ sonore Stimme ertönte, drückte Anna spontan Shukowskis Hand.
    »Danke für alles! Wenn Sie mir damals im Wolf und Béranger nicht zugeredet hätten – ich hätte wahrscheinlich aufgegeben.«
    »Bestimmt nicht.« Shukowski lächelte und reichte ihr seinen Arm. Gemeinsam gingen sie auf die Treppe zu.
    Seit ihrem denkwürdigen Gespräch kurz nach Puschkins Tod hatte sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen dem etwa zehn Jahre älteren Mann und Anna entwickelt. Mindestens einmal pro Monat trafen sie sich auf ein Glas Tee.
    »Ich bin gespannt, was Großfürstin Olga von Prinzessin Baria tinskis Tochter halten wird«, sagte er nun. »Ich kann mir gut vorstellen, dass die beiden Freundinnen werden. Schließlich ist Marias Bruder Iwan unserem Zarewitsch seit Jahren ebenfalls ein guter Gefährte.«
    »Wir werden sehen. Freundschaft und gegenseitige Sympathie kann man nicht erzwingen, aber eine Freundin täte Olga wirklich gut. Immer nur mit den Schwestern zusammen zu sein oder mit mir ist nicht das Wahre. Vielen Dank, dass Sie mich auf Maria Baria tinski aufmerksamgemacht haben«, sagte Anna warmherzig. »Ich kann mich zudem nicht oft genug bei Ihnen bedanken für den Rat, mich an die Großfürstin Helene zu wenden. Von meiner Idee, Olga vor ihrer offiziellen Einführung in die Gesellschaft auf ein, zwei kleinere Bälle zu schicken, war sie sofort angetan. Sie wollte einen hübschen Abend gestalten und nur nette Gäste einladen. Tja, und keine zwei Wochen später flatterten

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