Die Zarentochter
wahrscheinlich eine Hofdame – kicherte und nickte heftig.
Maria schaute mit bangem Herzen zu, wie Iwan ihr etwas zusteckte. Offiziell um die Tochter des Zaren werben zu wollen – entweder war ihr Bruder größenwahnsinnig oder er war wirklich bis über beide Ohren verliebt.
Im nächsten Moment kam Iwan zurück und gab dem Kutscher ein Zeichen zur Weiterfahrt. Zufrieden lehnte er sich ins Polster der Kutsche.
»Das wäre geschafft. Gräfin Julia wird Olga meine Nachricht bringen.« Über die Schulter hinweg warf er einen letzten Blick auf den Palast. »Niemand braucht zu glauben, dass ich mich so einfach abweisen lasse!«
*
Olly stand die ganze Zeit am Fenster. Stirnrunzelnd beobachtete sie, wie Iwan beschwingt die Eingangstreppe hinaufrannte, nur um kurze Zeit später wieder zu seiner Kutsche zu gehen. Warum wartete er nicht wie sonst im Salon auf sie? Eine unbestimmte Angst legte sich wie Frost auf ihre Haut.
Am liebsten hätte sie das Fenster geöffnet, ihm und Maria zugewinkt und gerufen, dass sie gleich nach unten kommen werde. Stattdessen beobachtete sie kurz darauf stumm, wie Iwan auf eine der Hofdamen zusprang.
»Ist das nicht Julia von Haucke? Was reden die beiden miteinander?«, sagte nun auch Anna, die sich zu Olly gesellt hatte. »Was will Bariatinski überhaupt schon wieder hier? Ihr habt euch doch erst letzte Woche gesehen.«
»Na und, das ist Ewigkeiten her. Schau nur, wie Julia Iwan anschmachtet. Was bildet sich das Mädchen nur ein? Das müsste Mutter einmal sehen!« Der eifersüchtige Ton in Ollys Stimme war nicht zu überhören.
Die attraktive Julia Gräfin von Haucke war nach dem Tod ihres Vaters,des polnischen Kriegsministers Hans Moritz von Haucke, an den russischen Hof gekommen, wo der Zar sie als Mündel aufnahm. Durch ihren jugendlichen Charme hatte sie sich die Gunst der Zarin erworben und war inzwischen Alexandras besonderer Liebling unter den Hofdamen, was Olly nicht nachvollziehen konnte. Sie fand Julia mit ihrem ewigen Gekicher einfach nur kindisch.
»Oh, er übergibt ihr eine Nachricht. Ob wohl etwas dazwischengekommen ist, weshalb unsere Bootsfahrt nicht stattfinden kann? Seltsam, dass er mir das nicht persönlich sagt …« Abrupt wandte sich Olly vom Fenster ab. »Bin gleich wieder da!«
»Da bist du ja endlich«, fauchte Olly die Hofdame an, als sie Julia von Haucke gefunden hatte. »Ich suche dich schon im ganzen Palast! Warum kommst du nicht auf kürzestem Weg zu mir, wenn du eine Nachricht für mich hast?«
»Eine Nachricht, Großfürstin? Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Julia von Haucke verbeugte sich mit gesenktem Blick.
»Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie Prinz Bariatinski dir einen Zettel übergeben hat. Also, wo ist er?« Ungeduldig wedelte Olly mit der Hand. Als Julia nicht gleich reagierte, verdrehte sie die Augen. Begriffsstutzig war sie also auch noch.
Die junge Hofdame schaute hilfesuchend hinüber zu Olga Kalinowski, einer weiteren Lieblingshofdame von Ollys Mutter, die im Türrahmen erschien, dann sagte sie: »Es gab keine Nachricht, Sie müssen sich täuschen, Großfürstin.«
*
»Kommst du auch wirklich ohne mich zurecht?« Annas weinerlicher Frage folgte ein Niesen. Die Narbe auf ihrer Stirn war fast genauso blass wie der Rest ihres Gesichts.
»Aber sicher doch«, sagte Olly in betont geduldigem Ton. »Mach dir um mich keine Sorgen.« Die beiden standen vor dem Landhaus in Peterhof.
»Ausgerechnet zwei Wochen vor Marias Geburtstag muss ich krankwerden!« Anna schaute gen Himmel, als hadere sie gewaltig mit dem lieben Gott. »Und nicht nur ich«, fügte sie mit einem Seitenblick auf Julie Baranow und Mrs Brown hinzu, die sich in ähnlicher Weise von ihren Schützlingen verabschiedeten. Olly und ihre Geschwister zwinkerten sich unauffällig zu.
Als hätten sich die drei Betreuerinnen abgesprochen, waren alle drei von einer heftigen Sommergrippe erwischt worden. Um weder das Geburtstagskind noch die anderen anzustecken, wollten die Frauen nach Pawlowsk reisen, um dort – geschützt vor dem rauen Ostseewind – schnell zu genesen. Noch vor ihrer Abreise hatte Anna die Prinzessin Kotschubej – die Obersthofmeisterin des Zarenhaushalts – gebeten, die Aufsicht im Landhaus zu übernehmen – keinesfalls hatte sie dies Kostys Erzieher Lütke überlassen wollen. Die Obersthofmeisterin ihrerseits hatte sich Prinz Galizin als Unterstützung bei ihrer gewichtigen Aufgabe erbeten.
»Seien Sie unbesorgt, meine Liebe, Ihren Schützlingen
Weitere Kostenlose Bücher