Die Zarentochter
Ballettaufführung gewesen.
»Olly, das geht nicht, du bist die Tochter des Zaren, die Schwester des Zarewitschs!«
»Ja und?« Irritiert schüttelte Olly den Kopf. »Was willst du mir eigentlich sagen?«
SaschasBlick war eisig geworden wie der Ostwind, der vor Wochen noch übers Land gefegt war. Er schaut wie Vater!, dachte Olly. Sie versuchte, dem Blick ihres Bruders standzuhalten. »Willst du mir drohen? Womit, wenn ich fragen darf? Willst du mich in meinem Zimmer einsperren? Mich in ein Kloster aufs Land verbannen?«
Sascha schaute sie herablassend an. »Es gibt noch andere Mittel und Wege, glaube mir, Schwesterherz.«
»Du hast wirklich Iwan Bariatinski zu deinem Galan gemacht?«, fragte Mary, während sie die Notenblätter nach dem nächsten Stück durchwühlte, das Olly und sie vierhändig üben wollten. »Alle Achtung, da hast du dir ja den größten aller Habenichtse angelacht!«
Olly drehte sich auf der Klavierbank zu ihrer Schwester hin. »Jetzt fängst du auch noch damit an. Was habe ich eigentlich getan, dass jeder auf mir herumhackt, nur weil ich den Bruder meiner besten Freundin nett finde und –«
»Deine beste Freundin!«, spie Mary aus. »Wenn du mich fragst, hat sich Maria Bariatinski nur an dich herangemacht, weil sie hofft, durch dich in unsere Kreise aufsteigen zu können. Sie sähe eine Heirat zwischen dir und ihrem Bruder sicher äußerst gern.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Du bist bloß eifersüchtig, weil du selbst keine so wundervolle Freundin wie Maria hast.« Olly zitterte vor Wut. Sie klappte den Deckel des Klaviers so heftig zu, dass die Tasten darunter anschlugen. »Von mir aus kannst du allein üben, ich habe keine Lust, mir noch mehr deiner Misstöne anzuhören.«
»Misstöne, ach ja? Warte nur ab, bis Vater Wind von dieser Liaison bekommt, dann wirst du wahre Misstöne zu hören bekommen!«, rief Mary hinter ihr her.
Die Hände zu Fäusten geballt, blieb Olly vor dem Musizierzimmer stehen. Alle waren so gemein! Keiner verstand die Innigkeit, die zwischen Iwan und ihr existierte, keiner wollte sie verstehen. Von wegen Frauenheld! Er liebte nur sie, das sagte er ihr immer wieder. Aber von der wahren Liebe verstanden die andern eben nichts.
*
»Washeißt das – die Großfürstin Olga lässt sich entschuldigen? Sie erwartet meine Schwester und mich, wir sind zu einer Bootsfahrt verabredet.« Stirnrunzelnd schaute Iwan den Wachposten vor dem Eingang des Palais Anitschkow an. Doch der Mann wusste nicht mehr und war auch nicht gewillt, Iwans eilig hingekritzelte Nachricht an Olly weiterzuleiten.
»Habe ich es dir nicht gesagt?«, sagte Maria, als er zur Kutsche zurückkam. »Es gefällt ihnen nicht, wie du Olly umgarnst.«
»Du glaubst …« Iwans Blick irrte zwischen seiner Schwester und der für ihn verschlossenen Palasttür hin und her, und seine Miene wurde hart. »… sie wollen mich loswerden?«
»Iwan, steigere dich bitte nicht in die Sache hinein«, sagte Maria. »Du hast Olgas Gegenwart öfter und länger genießen dürfen als die meisten Menschen, dafür musst du dankbar sein. Nun heißt es klug –«
»Klug sein, ach ja?«, unterbrach Iwan seine Schwester. »Glaubst du wirklich, Olly wäre für mich eine Liebelei unter vielen? Kennst du mich so schlecht?«
»Nein, natürlich nicht«, kam es gequält von Maria.
Der Zug um Iwans Mund entspannte sich, er schaute auf die Wasser der Newa und sagte leise: »Es ist seltsam, aber zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Ahnung von der wahren Liebe. Wenn ich an Olly denke, erscheint mir alles andere so nebensächlich und trivial. Sie ist –«
»Iwan, um Himmels willen, sprich nicht weiter. Olly und du – das war ein schöner Traum, aber wenn du jetzt nicht aufwachst, wird es ein schreckliches Ende nehmen. Eine Verbindung zwischen einer Großfürstin und einem einfachen Prinzen ist undenkbar, nie würde der Zar euch seinen Segen erteilen.«
Iwan funkelte seine Schwester an. »Dass auch du in solch kleinlichen Dimensionen denkst, hätte ich nicht gedacht. Außerdem, ich bin kein einfacher Prinz, sondern ein hochgelobter Offizier der Armee des Zaren. Nikolaus hat schon immer einen guten Soldaten zu schätzen gewusst. Deshalb traue ich mir durchaus zu, offiziell um Olga zu werben.«
Marias Augen weiteten sich vor Schreck. »Iwan!«
Ersprang aus der Kutsche und rannte auf eine junge Frau zu, die im Schatten der Platanen versuchte, ihren Sonnenschirm aufzuspannen. Ein paar Worte wurden gewechselt, die Frau –
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