Die Zarentochter
Vater das nicht gefallen wird.« Dass sie sich den Mann ihres Herzens selbst aussuchen könne – hatte Anna ihr nicht genau das all die Jahre gepredigt?
Adini schaute Olly vorwurfsvoll an. »Wenn Vater dich so reden hören würde! Dass es die romantische Liebe nur in Gedichten und in der Oper gibt, weiß doch jedes Kind. Mutter sagt, die Liebe wäre schön und gut, aber es würden ganz andere Dinge zählen. Und Mutter weiß schließlich Bescheid. Ich werde ihrem und Vaters Urteil einmal vertrauen. Unsere Eltern wissen doch immer, was das Beste für uns ist.«
»Das Beste für uns oder für Russland?«, entgegnete Mary ungewohnt sarkastisch. Adini schaute ihre älteren Schwestern betroffen an.
Warumhatte sie nur diese blöde Bemerkung machen müssen?, ärgerte sich Olly. Eigentlich ging sie dieses Thema doch gar nichts an. Zugegeben, Iwan war vielleicht nicht die beste Partie, die sie machen konnte, aber er war ein sehr guter Soldat und ein wunderbarer Mann. Bestimmt würden ihre Eltern das zu gegebener Zeit genauso sehen, dachte sie mit erzwungener Zuversicht.
Iwan … Sie sehnte sich so sehr nach ihm. Nach seinem Lachen, seinen Gedichten und seiner Nähe. Doch seit Wochen hatte sie nichts von ihm gehört, genauer gesagt seit dem Tag, an dem sie ihn vor dem Palais Anitschkow gesehen hatte.
Natürlich wusste Olly, dass Iwan Sascha derzeit auf einer Reise begleitete. Aber hätte er nicht wenigstens einmal schreiben können? Sascha tat dies doch auch!
Olly seufzte auf. Wahrscheinlich nahm Sascha seinen Freund so sehr in Beschlag, dass Iwan einfach keine Zeit zum Briefeschreiben blieb. Oder hatte sein Schweigen womöglich doch mit dem Zettel zu tun, den er Julia von Haucke zugesteckt hatte, den es angeblich aber nicht gab? Was wohl darauf gestanden hatte?
Inzwischen war sich Olly ziemlich sicher, dass sie das Schreiben wichtigtuerisch an ihre Eltern weitergegeben hatte. Immerhin war Julia von Haucke ein Mündel des Zaren, und sie war ihm zutiefst ergeben. Aber falls Ollys Eltern von ihrer Zuneigung zu Iwan erfahren hatten, warum hatte dann niemand ein Wort zu ihr gesagt?
So viele Fragen und keine Antworten. Wie sollte sie da je die Wahrheit herausfinden? Zu gern hätte Olly mit ihren Schwestern dar über gesprochen, aber sie befürchtete, von Mary nur wieder Gemeinheiten zu hören zu bekommen. Und Adini war für solche Gespräche noch zu jung, das hatte man ja gerade wieder sehen können.
Nun, bald würde das Rätselraten ein Ende haben. Ihr Bruder wollte spätestens zu Marys Geburtstagsfest zurück sein – endlich. Ollys Seufzer war dieses Mal voller Hoffnung.
Zum Glück hatte sie Mary überreden können, die Geschwister Bariatinski zu ihrem Fest einzuladen. Olly fieberte diesem Wiedersehen entgegen, wann immer sie in ihrem Bett lag und nicht einschlafen konnte, malte sie es sich in den schönsten Farben aus: Iwan würdeaus der Kutsche springen, elegant gekleidet in seine Festuniform, alle anwesenden Damen würden ihn bewundernd anschauen. Aber er würde nur Augen für sie haben und ihr eine weiße Rose überreichen, während das Geburtstagskind Mary eifersüchtig danebenstand …
Im Festtrubel würde es ihnen gewiss gelingen, sich für ein paar Minuten wegzustehlen. Dann würde er sie küssen und ihr sagen, dass er vor Sehnsucht nach ihr fast gestorben war. Und sie würde ihm beipflichten und –
Eigentlich war es ganz gut, dass sich Anna weit weg in Pawlowsk aufhielt, schoss es Olly durch den Kopf.
»Auf Bälle gehen und nette junge Männer kennenlernen – ich für meine Fälle kann kaum erwarten, bis es so weit ist«, griff Adini unerwartet das Thema nochmals auf. »Das ist doch viel besser, als mit Mrs Brown elende Gewaltmärsche zu absolvieren. Und Kosty würde auch bestimmt lieber auf Brautschau gehen, als immer nur zu lernen.«
Olly und Mary schauten sich an. »So habe ich das noch gar nicht gesehen«, murmelte Mary. »Zugegeben, ein bisschen mehr Freiheit habe ich inzwischen schon. Und das viele Lernen vermisse ich auch nicht.«
»Mir tut Kosty leid«, sagte Olly heftig. »Erst gestern hat Lütke ihn wieder einmal zu Stubenarrest verdonnert. Und das nur, weil er sein Russischbuch mit Schlachtschiffen verziert hat.«
»Dabei zeichnet er so wunderschön. Und naturgetreu«, sagte Adini. »Ich würde das auch gern können. Wenn ich ein Pferd male, sieht es aus wie eine Mischung aus einer Ziege und einem Esel.«
»Wir Mädchen haben nachmittags frei und die Jungen müssen lernen – das ist doch
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