Die Zarentochter
wird es unter meinen Fittichen an nichts fehlen«, sagte die Obersthofmeisterin, und Prinz Galizin öffnete den Verschlag der Kutsche, die die drei Frauen nach Pawlowsk bringen sollte.
Anna war den Tränen nahe. »Es ist nur … Dass in diesem Sommer aber auch alles zusammenkommen muss! Eure liebe Mutter zur Erholung in Bad Kreuth, der Zar wegen seines Schlüsselbeins in Teplitz – ich sage dir, das hat er sich bestimmt bei dieser unseligen Eisenbahnfahrt ausgerenkt! Und nun auch noch die Grippewelle …«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Mary, kaum dass die Kutsche nicht mehr zu sehen war.
»Ich würde gern an den Badestrand gehen«, sagte Olly spontan, und Grand Folie kläffte aufgeregt, als wollte er diesen Vorschlag unterstützen.
»Und ich in meinem neuen Buch lesen«, sagte Adini.
Mary ergänzte: »Ich würde am liebsten ein paar Decken im Garten ausbreiten und ein Schläfchen halten!«
»Und was nun?«, fragte Olly. Alle drei lachten.
»Was immer Ihre Hoheiten zu tun gedenken, Sie mögen schön bravdabei sein, ja?« Die Obersthofmeisterin lächelte ihren Schützlingen freundlich zu. »Der Prinz und ich werden jetzt in aller Ruhe eine eisgekühlte Flasche Krimsekt öffnen – eine kreislaufstützende Maßnahme. Falls die Großfürstinnen irgendetwas benötigen – Sie finden uns in der Eremitage.« Sie winkte den Mädchen über ihre Schulter ein letztes Mal zu, und weg war sie.
»Freiheit!«, rief Mary theatralisch.
»Tun und lassen können, wonach uns der Sinn steht«, seufzte Olly. »Und nicht immer jemand in der Nähe, der es gut mit einem meint.«
»Genau, wir wissen nämlich selbst, was gut für uns ist!«, rief Adini.
Sie fassten sich an den Händen und rannten kichernd ins Haus, um sich für den Rest des Tages zu rüsten.
Fast täglich spazierten die Schwestern barfuß am Meer entlang und hoben dabei ihre Röcke einen Fingerbreit höher als sonst. Mittags hielten sie zu dritt ihr Schläfchen auf einer Decke im Garten, was viel aufregender war als ein ernsthafter Mittagsschlaf im Bett. Abends aßen sie bei milder Witterung auf der Terrasse – keine großartigen Menüs, sondern einfache Gerichte mit Pilzen, die sie selbst gesammelt hatten.
Die Obersthofmeisterin und Prinz Galizin machten nach dem Abendmahl einen Verdauungsspaziergang durch den weitläufigen Park oder spielten zusammen Schach, während die Schwestern im kleinen Landhausgarten blieben. Ihr Lieblingsplatz war eine mit Efeu bewachsene Laube, in der eine Bank stand. Hier war es warm und windstill, hier konnten sie im Licht von zwei Ölfunzeln stundenlang plaudern. Ein paar Kissen, eine Decke, manchmal auch eine vom Tisch weggeschmuggelte Flasche Wein samt Gläsern … Mehr brauchten sie zu ihrem Glück nicht.
»Was für ein Leben! So stelle ich mir das Schlaraffenland vor«, sagte die mittlerweile dreizehnjährige Adini und hielt ihren Schwestern eine Schale mit Kljukwabeeren hin, die sie am Nachmittag in einem nahe gelegenen Wäldchen gepflückt hatten.
Marynahm sich eine Handvoll, dann reichte sie die Schale an Olly weiter. »Fließen dort nicht Milch und Honig in den Bächen? Und gebratene Tauben fliegen einem in den Mund? Also, mir sind Kljukwabeeren lieber, ich liebe ihren bitteren und leicht säuerlichen Geschmack«, sagte sie und schob sich eine Beere in den Mund.
»Ich liebe sie auch, aber immer wenn sie reif sind, hat der Sommer bald ein Ende, und dann kommt der Herbst, und dann –« Ein Kissen traf Olly am Kopf und hinderte sie am Weitersprechen.
»Du alte Spielverderberin! Musst du uns daran erinnern, dass unsere schöne Zeit bald ein Ende hat?«, rief Adini.
Mary seufzte. »Ich will noch gar nicht an den Herbst denken, dann schicken sie mich wieder auf Bräutigamschau. Wie ein Paradepferd führen sie mich dabei vor, das ist schrecklich. Und immer halten sie Ausschau nach demjenigen, der Russland den größten Nutzen bringt. Aber eine Gerechtigkeit gibt es.« Mary grinste schadenfroh. »Im Herbst muss auch Sascha durch Europa reisen, um die schönste und herrlichste aller Bräute zu finden, da wünsche ich ihm jetzt schon viel Spaß. Und dann … kommt auch bald schon unsere liebe Olly an die Reihe!«
Nun war es Olly, die aufstöhnte. Grand Folie, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte, schaute fragend zu ihr auf.
»Ich werde gewiss keine ›Diplomatenware‹ abgeben, die es bestmöglich an den Mann zu bringen gilt. Wenn’s ums Heiraten geht, werde ich ein Wörtchen mitreden, auch wenn
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