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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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beiden ständig zu flüstern?
    »Schaut es euch an, unser herrliches Russland!«, rief Mary mit tränenerstickter Stimme in die Runde.
    »Wunderschön«, hauchte Olly, ohne einen Blick aus dem Fenster zu werfen.
    »Nichts kann schöner sein, als in Ihre Augen zu schauen, liebste Olga«, flüsterte Iwan ihr zu.
    Das ging jetzt aber zu weit! Hektisch schaute sich Anna um, aber außer ihr schien niemand Bariatinskis unverfrorene Bemerkung gehört zu haben.
    Sie suchte noch nach einer Möglichkeit, die beiden auseinanderzubringen, als durch eines der offenen Fenster Funken ins Fenster stieben. Ein paar davon trafen Anna am Arm, und sie schrie leise auf. Auch Olly schien etwas von dem Funkenflug abbekommen zu haben, denn sie rückte noch näher an ihren Sitznachbarn heran.
    »Keine Angst,ich bin bei Ihnen«, murmelte Iwan – und drückte auch noch Ollys Hand!
    »Ungefährlich ist das nicht gerade«, murmelte Anna. Graf Bobrinski schmunzelte.
    »Entspannen Sie sich, liebe Madame Okulow. Und genießen Sie das herrliche Erlebnis. Die Fahrt ist mit dreißig Minuten kurz genug.«
    »Dreißig Minuten?« Helene bekreuzigte sich. »Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, mit der Pferdekutsche brauchen wir fast einen ganzen Tag nach Zarskoje Selo.«
    »Dreißig Minuten sind in der Tat viel zu kurz«, sagte Iwan Bariatinski und schaute Olly durchdringend an.
    »Das reicht jetzt aber!«, zischte Anna in äußerst scharfem Ton. »Du lieber Himmel, was …?« Feuerfunken kamen durch die Ritzen der Tür ins Abteil, vielleicht auch durch den Boden, Anna vermochte es nicht genau zu sagen. »Mein Kleid, es glimmt!«
    »Nur eine Lappalie, das haben wir gleich«, sagte Bobrinski. Noch während er mit den Händen auf Annas Rocksaum schlug, um die kleinen Brandherde zu löschen, rief jemand weiter hinten im Abteil: »Die Gardine, sie qualmt!«
    »Oje, die Tischdecke auch!«
    »Anhalten! Jemand soll die Lok anhalten!«
    »Um Himmels willen, es brennt!«
    »Wasser! Gibt es kein Wasser?«
    »Doch, für einen solchen Notfall sind extra ein paar Fässer aufgeladen worden!«
    »Mein Sonnenschirm hat Feuer gefangen!«
    Helene kreischte, Mary schrie, und Olga starrte schreckensstarr auf die gerade noch winzigen Flämmchen, die stetig höher züngelten.
    »So tun Sie doch etwas!«, fuhr Anna Iwan Bariatinski an, als Funken auf Ollys Rock übersprangen und der Stoff an einigen Stellen zu glimmen begann.
    Weiter vorn im Abteil hatte der Zar die brennenden Vorhänge her untergerissen und versuchte nun, mit seinen Stiefeln das Feuer auszutreten.
    »Wasist mit den anderen Abteilen?«, bellte er über die Schulter hinweg seinen Sohn an.
    Andere Männer wälzten sich auf qualmenden Sofakissen, Graf Bobrinski warf sich auf eine der Hofdamen, deren Hut ebenfalls durch den Funkenflug zu brennen begonnen hatte. Schwarzer Rauch erfüllte das Abteil. »Fenster zulassen!«, keuchte Bobrinski, als Anna eines der Fenster öffnen wollte. »Wo bleibt das Wasser? Schnell her damit!«
    Irgendwie gelang es den Männern, die Feuerherde zu löschen.
    Vor Erschöpfung und Erleichterung schluchzend lagen sich die Reisenden in den Armen, die Haare wirr, die Kleider schwarz und teilweise triefend nass vom Löschwasser.
    »Ich glaube, eine Pferdekutsche ist mir doch lieber«, murmelte Helene und warf ihren einstmals prachtvollen Hut auf den Boden.
    Nikolaus starrte mit versteinertem Gesicht auf das Chaos. In kürzester Zeit hatte das Feuer den Großteil der samtroten Pracht zerstört, den Rest hatten die Eimer Wasser erledigt, die mehr oder weniger ziellos gegen die Wände geschüttet worden waren.
    Annas düstere Miene glich der des Zaren, allerdings schaute sie nicht auf den verkohlten Doppeladler an der Wand, sondern auf Olly, die in den Armen von Iwan Bariatinski lag und keine Anstalten machte, sich so bald wieder von ihm zu lösen.

11. KAPITEL
    D as Frühjahr 1838 war mild, und eine Woche früher als sonst entfernten die Gärtner vor dem Palast die dicke Schicht Tannenzweige von den Rosenbeeten, die sie im Herbst zuvor als Schutz vor dem Frost aufgebracht hatten.
    Die Frühlingswärme hüllte Mensch und Tier wie in ein warmes Tuch ein, die Kutschpferde verloren schlagartig ihren dicken Winterpelz und sahen aus wie gerupfte Hühner. An jedem Baumstamm, an jedem Anbindepfahl versuchten sie sich zu reiben, um gegen den Juckreiz anzukommen, den der Fellwechsel alljährlich mit sich brachte.
    Aus den dicken Lagen abgestorbener Blätter schauten schon erste grüne Knospen

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