Die Zarentochter
dasselbe galt für den Eifer der Malerinnen. Umso erfreuter waren alle drei, als Anna mit einem dicken Umschlag in der Hand hereinkam.
»Olly, hier ist ein Brief für dich, von deinem Bruder.«
Hastig wischte Olly die farbverschmierten Finger an einem Küchentuch ab. Sascha hatte ihr geschrieben! Ihr ganz allein.
»Unterstehe dich, jetzt zu gehen«, knurrte Mary, als Olly Anstalten machte aufzustehen.
»Genau, wir wollen auch hören, was Sascha schreibt«, sagte Adini und machte Platz, damit sich Anna neben sie setzen konnte.
Olly schaute lachend von einer zur anderen. »Dass man in diesem Haus aber auch nie etwas für sich allein hat.« Vorsichtig ritzte sie den dicken Umschlag auf, um nur ja keine der dichtbeschriebenen Seiten zu zerreißen.
»Darmstadt, im März 1839 .«
»Darmstadt? Was macht er denn dort?«
Olly funkelte Mary an. »Jetzt warte doch ab! Also: Liebe Schwester, ich hoffe, mein Brief trifft euch alle bei bester Gesundheit an? Mir geht es gut, obwohl ich sagen muss, dass ich froh bin, den größten Teil meiner Reise hinter mir zu haben. Vor allem – «
»Oje, was hat ihm nicht gefallen?«, kam es von Adini.
»Vor allem bin ich froh, den Frühling in wärmeren Gefilden verbringen zu dürfen, das Wetter im Norden war eine wahre Katastro phe.Was meine Brautschau angeht, so möchte ich nicht en détail darauf eingehen, nur so viel sei gesagt: Der Besuch in Berlin war eher freudlos, von einem sehr erquicklichen Abend, den ich mit Iwan Turgenjew verbringen durfte, einmal abgesehen. Sicher erinnerst Du Dich an den Dichter, von dem ich Dir einmal erzählte?«
»Wer soll das denn –«, hob Mary an, brach aber auf Ollys Blick hin sofort wieder ab.
»Auch meine Fahrten nach Bayern, London und Stockholm blieben in Sachen Brautschau fruchtlos. Dasselbe gilt für Italien, an welches ich dennoch mein Herz verloren habe. Olly, stell Dir vor, dort haben sie blühende Zitronenbäume im Garten und nicht nur in der Orangerie. Aber ich will auf meine Brautschau zurückkommen: Ich sei zu wählerisch, musste ich mir in den letzten Wochen mehr als einmal anhören, vor allem Shukowski wird nicht müde, mich zu necken.«
Die Schwestern und Anna lachten.
»Warum schreibt er nichts von Stuttgart? Sollte er dort nicht unsere Cousine treffen?«, fragte Mary stirnrunzelnd. Hastig überflog Olly den nächsten Absatz.
»Stuttgart ist eine gemütliche Stadt und Maria Friederike ein reizendes Mädchen, aber leider schaffte auch sie es nicht, mein Herz zu erwärmen. Bestimmt sagt sie dasselbe von mir. Allerdings hatte ich Gelegenheit, mich mit Tante Helenes Bruder Friedrich zu unterhalten. Ein etwas seltsamer Zeitgenosse, wenn ich das anmerken darf. Liebste Olly, mir ist bekannt, dass Helene eine Verbindung zwischen euch zu gern sähe. Aber weißt Du eigentlich, dass er nur ein Jahr jünger ist als sie selbst?«
Olly schaute grimmig vom Brief auf. »Und ob ich das weiß. Ich habe Tante Helene klipp und klar gesagt, dass Friedrich als Ehemann viel zu alt für mich ist.«
»Aber du würdest eine gute Partie machen«, sagte Mary. »Tante Helene hat mir erzählt, er habe beste Aussichten auf den Württemberger Thron, weil der Kronprinz Karl ein schwächlicher Kerl sei, der es nie auf den Thron schaffen wird.«
Olly verzog das Gesicht. »Das hat sie mir auch gesagt. Und dass Friedrichbei seinem Besuch hier in St. Petersburg vor zwei Jahren von mir so angetan gewesen wäre. Das mag ja sein, aber –« Sie schaute in die Runde. »Wenn ich einmal heirate, dann sollte mein Bräutigam jung und gutaussehend sein! Tante Helene soll ihren alten Bruder, den bisher keine haben wollte, anderswo unter die Haube bringen.«
»Olly, sei nicht so frech«, sagte Anna. »Hat Max von Bayern dir nicht einen Brief geschrieben und darin gebeten, dich baldmöglichst wiedersehen zu dürfen? Er ist doch jung und hübsch …«
»Du weißt aber ganz genau, dass ich mit dem Bayernprinzen auch nichts anfangen kann.« Olly warf ihrer Gesellschafterin einen wütenden Blick zu.
»Olly hat dem Bayern doch auf Marys Geburtstagsfest einen Korb gegeben – im wortwörtlichen Sinne!« Adini kicherte.
»Wenn’s sein muss, verteile ich noch viele Körbe, wartet nur ab. Nicht nur Sascha ist wählerisch, ich bin es auch. Ein Mann, der mir gefallen soll, muss nicht nur gut aussehen, er muss auch herzenswarm sein und liebevoll und gütig und …« So wie Iwan es ist, ging es ihr unvermittelt durch den Kopf. Ach, warum konnte er nicht irgendein
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