Die Zarentochter
verstehen, Albrecht ist furchtbar reich und ein netter Kerl. Karl-Ferndinand … nun ja. Aber Stephan! Ein so gutaussehender Mann wie er ist mir selten begegnet. Feine Züge, leicht gelocktes Haar, schlank, und er hat so eine beseelte Ausstrahlung. Der hätte mir auch gefallen können, aber er hat mich damals in Berlin keines Blickes gewürdigt«, fügte Mary stirnrunzelnd hinzu.
»Das ist ja kaum vorstellbar, wo du während deiner Einführung in die Gesellschaft doch nur so von Verehrern umschwärmt worden bist«, sagte Adini unschuldig.
Olly grinste in sich hinein. »Ja und? Was hat das alles mit mir zu tun?« Einebeseelte Ausstrahlung – vor ihrem inneren Auge erschien ein fein gemeißeltes Männergesicht, zartgliedrig, fast engelsgleich.
Um Aufmerksamkeit heischend, schaute Mary in die Runde. »Sascha schlägt eine Heirat zwischen Olly und Stephan vor. Er schreibt: »Liebste Schwester, ich weiß, ich greife dem Schicksal weit voraus mit meinem Vorschlag. Aber bedenke: Mit dieser Entscheidung würdest Du Dir das ganze unselige Heiratskarussell ersparen – anders als ich. Wie sagte Mary so trefflich: Man wird dabei vorgeführt wie ein Paradepferd!« Mary nickte heftig, fuhr aber gleich fort: »Damit Du Dir ein Bild von Stephans Zukunftschancen machen kannst, möchte ich dir folgende Informationen geben: Stephan liebt Ungarn über alles, er spricht neben etlichen anderen Sprachen auch die ungarische perfekt. Alle rechnen damit, dass er später einmal der Nachfolger seines Vaters und somit Palatin von Ungarn wird. Dar über hinaus soll er schon in den nächsten Jahren die General-Statthalterschaft in Böhmen übernehmen. Sollte eine Verbindung zwischen Dir und ihm zustande kommen, wäre deine neue Heimat vielleicht Prag …«
»Was ist ein Palatin?«, fragte Adini.
»So nennt man in Ungarn den von König und Reichstag vorgeschlagenen königlichen Stellvertreter. Bei uns gibt es ein solches Amt nicht, in Deutschland würde man ihn vielleicht einen Pfalzgrafen nennen«, erklärte Olga geistesabwesend. Prag, die Goldene Stadt … Es war die allererste größere Reise gewesen, auf die ihre Mutter sie mitgenommen hatte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich der Zarin so nahe gefühlt wie in jenen Tagen. Vielleicht hatten die schönen Erinnerungen, die sie mit Prag verband, auch mit diesem Wohlgefühl zu tun?
»War sein Vater, Erzherzog Joseph, nicht in erster Ehe mit einer Schwester eures Vaters verheiratet? Großfürstin Alexandra ist nur kurz nach der Heirat verstorben, wenn ich mich richtig erinnere …« Annas Blick hellte sich auf. »Es gab also schon früher Verbindungen zwischen Prag und Russland, bestimmt ist deinem Bruder dieser Gedanke auch durch den Kopf gegangen. Und dazu noch deine Begeisterung für Prag.«
»Willstdu mich so dringend loswerden, dass du mich an den Erstbesten verschacherst?«, fragte Olly lachend. »Aber im Ernst, mein Aufenthalt in Prag gehört zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens.« Von den Momenten mit Iwan abgesehen, fügte sie innerlich hinzu.
Iwan – aus den Augen, aus dem Sinn. Der Spruch schoss ihr nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Seine anfängliche Briefflut hatte rasch nachgelassen, inzwischen schrieb er nur noch in unregelmäßigen Abständen, und wenn Olly die wenigen belanglosen Sätze las, aus denen seine Briefe bestanden, kam ihr der Schreiber fast fremd vor. Manchmal hatte sie sogar Mühe, sich an sein Gesicht zu erinnern. Hatte sie sich getäuscht? War dies doch nicht die große Liebe gewesen? Und war deshalb ihr Herzschmerz im Laufe der Zeit immer schwächer geworden?
Seufzend holte sie Luft und sagte: »Die schönen Parks, die Moldau, ein unbeschreiblicher Geruch in der Luft – in Prag fühlte ich mich so frei! Und dem Himmel nahe, was vielleicht damit zu tun hatte, dass Mutter und ich ganz oben im Hradschin wohnten«, ergänzte sie trocken.
»Du schwärmst ja richtig«, sagte Adini. »Ach, wenn ich doch auch nur jemanden hätte, für den ich schwärmen könnte.«
»Dafür bist du noch viel zu jung«, sagten Olly und Mary wie aus einem Mund. Alle lachten.
»Wenn du Stephan kennenlernst, werden die Parks und die Moldau nur noch Nebensache sein, er ist wirklich ein Traum von einem Mann«, seufzte Mary.
»Auf alle Fälle sind die Ungarn ein sehr liebenswertes Volk«, sagte Olly unverbindlich.
»Das schreibt Sascha auch. Und dann schreibt er noch, dass dir an Stephans Seite die große Aufgabe obliegen würde, die slawischen Völker zu
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