Die Zarentochter
stürmte.
Olly biss sich auf die Lippen. Das hatte sie ja wunderbar hinbekommen! Anstelle etwas für Mary zu erreichen, schienen sich die Fronten eher noch mehr zu verhärten. Sie hätte das Gespräch viel taktvoller, sensibler und geschickter angehen müssen, ärgerte sie sich. Eine große Diplomatin war an ihr wohl nicht verlorengegangen.
Die arme Mary. Wenn nicht bald ein Wunder geschah – würde sie dann wirklich sterben?
Sosehr das Drama um Mary auch das Familienleben dominierte, der Alltag im Palais Anitschkow musste dennoch weitergehen. In wenigen Tagen sollte Sascha abreisen, seine Brautschau würde ihn quer durch Europa führen. Niemand hatte damit gerechnet, dass Marys Verheiratung derartige Komplikationen mit sich bringen würde – umso wichtiger war es, dass wenigstens beim Zarewitsch alles reibungslos verlief. Laut dem gothaischen Taschenkalender gab es an mehreren Höfen Prinzessinnen im heiratsfähigen Alter. Gespannt wartete der russische Hof darauf, dass Sascha ihm baldmöglichst eine junge hübsche Braut präsentierte.
Saschas Reise wurde generalstabsmäßig geplant: Letzte Depeschen bestätigten nochmals Termine in den einzelnen Herrscherhäusern, Ausweichrouten wurden festgelegt für den Fall, dass eine geplante Streckewegen schlechten Wetters unbefahrbar sein würde. Saschas Mitreisende wurden ein letztes Mal vom Zaren instruiert – Wassili Shukowski war ebenso erwählt worden wie eine Handvoll Adelsmänner, sie sollten dem jungen Zarewitsch mit Rat zur Seite stehen.
Natürlich schickte es sich, den Damen bei seiner Aufwartung kleine Geschenke zu überreichen. Sascha, der großzügig auftreten wollte, besuchte zu diesem Zweck kurz vor seiner Abreise den Hofjuwelier Carl Edvard Bolin in seinem eleganten Ladengeschäft.
Da er in solchen Dingen reichlich unbedarft war, bat er Olly, ihn zu begleiten. Auch Adini wäre gern mitgekommen, musste aber wie so oft in letzter Zeit erkältet das Bett hüten. Dass sie sich ständig einen Husten oder Schnupfen einfing, wunderte alle – in der Vergangenheit war Adini stets mit einer robusten Gesundheit gesegnet gewesen.
An ihrer Stelle nahm Olly kurzerhand noch Maria Bariatinski und Anna Okulow mit. Alle drei brannten darauf, der berühmten Goldschmiedewerkstatt einen Besuch abzustatten.
Es war einer jener düsteren Novembertage, an denen die Straßen von St. Petersburg wie leergefegt waren – lediglich auf der Newa und der Fontanka hatten ein paar Kähne an den Anlegestellen festgemacht. Männer mit missmutigen Gesichtern und hochgestellten Pelzkrägen luden Waren ab, um die Paläste und Geschäfte vor dem Winter letztmalig mit Vorräten zu versorgen. Doch die St. Peters burger, die es sich leisten konnten, saßen an diesem Nachmittag rund um ihre Samoware im Warmen und hofften, so den elenden Winterkrankheiten wie Husten, Schnupfen und fiebrigen Erkältungen, die der eisige Ostwind mit sich brachte, zu entgehen.
Nach einer kurzen Kutschfahrt hatten Sascha und seine Begleiterinnen das Juweliergeschäft erreicht und saßen rund um einen hochglanzpolierten Nussbaumtisch, auf dem der Juwelier Carl E. Bolin seine Preziosen auf tiefrotem Samt präsentierte.
»Was meinst du, eignet sich die Taube für unsere württember gische Cousine?« Mit diesen Worten legte Sascha Olly eine filigran gearbeitete Brosche in die Hand.
»Indiesem Stück sind mehr als dreihundert Diamanten eingearbeitet, der Zweig, den die Taube im Schnabel hält, besteht aus achtunddreißig Smaragden, natürlich ist alles in achtzehnkarätigem Gold gefasst«, bemerkte der Juwelier.
»Ganz nett, aber ob es zu Maria Friederike passt?« Olly legte die Taube zurück auf den Samt. »Ich habe die Cousine nur einmal gesehen und kann mich kaum an sie erinnern.«
Anna schmunzelte, als sie Ollys Augen sah. Sie hatten einen eigentümlichen Glanz angenommen, wie immer, wenn die junge Frau mit Edelsteinen hantierte. Im Laufe der Jahre war nicht nur ihre Mineraliensammlung immer größer geworden, auch Ollys Wissen rund um die Preziosen war gewachsen, sie kannte inzwischen Dutzende von unterschiedlichen Steinen und konnte deren Qualitäten treffsicher beurteilen. Mit ihrer Leidenschaft für die funkelnden Steine hatte sie Anna längst angesteckt.
Fast ehrfürchtig nahm sie, Anna, nun die Brosche an sich, um sie genauer zu betrachten. Was für ein herrliches Stück!
»Diese Maria Friederike ist die Tochter eurer verstorbenen Tante Katharina, nicht wahr? Sie soll eine wahre Schönheit sein, genau
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