Die Zarentochter
vereinen.« Mary schaute auf. »Was meint er denn damit? Du bist doch nicht im diplomatischen Korps. Na, wie auch immer. Jedenfalls hat er Stephan schon ein wenig von deinen Vorzügen erzählt.«
»Er hat was?« Olly schlug eine Hand vor den Mund.
»Saschaschreibt, Stephan habe schon viel Gutes von dir gehört und könne sich eine solche Verbindung sehr gut vorstellen. Schließlich eile dir in ganz Europa der Ruf großer Schönheit und Klugheit voraus.«
Mit leiser Genugtuung bemerkte Olly den eifersüchtigen Unterton in Marys Stimme.
»Tja, liebes Schwesterherz, du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass von nun an ich an der Reihe bin, was die Herrenwelt angeht.«
»Von wegen, zuerst wird meine Hochzeit gefeiert, und zwar so prachtvoll, wie die Stadt noch keine gesehen hat«, erwiderte Mary. »Du solltest diesem Festtag übrigens auch entgegenfiebern, unser lieber Bruder hat nämlich Stephan dazu eingeladen. Falls du damit nicht einverstanden wärst, sollst du ihm eine Nachricht übermitteln, ansonsten setzt er dein stilles Einverständnis voraus.«
»Mein stilles Einverständnis …« Gedankenverloren ließ Olly eines der roten Eier bis über die Tischkante rollen, wo sie es mit ihrer anderen Hand auffing. Von allen Geschwistern kannte Sascha sie am allerbesten. Wenn er meinte, Stephan und sie würden zueinander passen, musste etwas daran sein.
Der zukünftige Palatin von Ungarn und sie ein Paar – was für ein aufregender Gedanke! Womöglich war er tatsächlich der Mann ihres Lebens? Wenn er wirklich so großartig war, wie alle behaupteten …
»Natürlich vertraue ich Saschas Intuition, aber ihr müsst zugeben, dass das alles sehr plötzlich kommt.« Stirnrunzelnd schaute sie in die Runde. »Wenn ich jetzt mein ›stilles Einverständnis‹ gebe, Stephan kennenlernen zu wollen, bedeutet das, also, bin ich dann sozusagen … verlobt?«
»Nun, wenn der russische Thronanwärter schon Gespräche über eine mögliche Verbindung führt. Ganz ohne Bedeutung ist das jedenfalls nicht«, sagte Anna vorsichtig.
Vielleicht war Saschas Brief ein Wink des Himmels?, schoss es Olly durch den Kopf, während Mary und Anna weiter über die Auswirkungen von Saschas Gesprächen debattierten.
Wennsie sich diesem unbekannten Stephan als Verlobte verschrieb, würde sie dann vor anderen lästigen Anträgen verschont bleiben? Kein Bayernprinz und auch sonst niemand würde sie umwerben dürfen. Falls Stephan ihr gefiel – umso besser. Womöglich war es sogar Liebe auf den ersten Blick? Und falls nicht, konnte sie immer noch ins sogenannte Heiratskarussell einsteigen. Bis dahin aber würde sie von Großfürstin Helene und all den anderen, die sie unbedingt verkuppeln wollten, in Ruhe gelassen werden.
Ein Wink des Schicksals, in der Tat. Olly lachte befreit auf. »Stephan soll kommen. Ich kann es kaum erwarten, ihn kennenzulernen. Ich weiß nicht, was ihr alle habt, so schwierig scheint die Bräutigam-schau doch nicht zu sein. Ich zumindest bin schon verlobt«, sagte sie gespielt überheblich.
Im nächsten Moment schluchzte Adini auf.
»Was ist, warum weinst du denn?«
»Weil … weil das Leben so schön ist«, erwiderte Adini unter Tränen. »Mary heiratet ihren Prinzen, Sascha seine Kirschprinzessin und Olly den ungarischen Palatschinken!«
15. KAPITEL
E nde Juni 1839 war es so weit: Nach monatelanger Reise kehrten Sascha und seine Begleiter nach St. Petersburg zurück. Sascha schwärmte viel von seiner zukünftigen Gattin Cerise. Marie von Hessen-Darmstadt sei nicht nur klug, charmant und wunderschön, sondern besitze auch eine schnelle Auffassungsgabe. Die kleine Cerise erinnere ihn sehr an die junge Zarin Alexandra, merkte Wassili Shukowski an, gewiss würde sie sich schnell in Russland einleben.
Nikolaus und Alexandra lächelten. Spätestens Mitte Juli wollten sie nach Hessen aufbrechen, um sich die Kirschprinzessin anzuschauen.
Doch zuvor galt es, am ersten Juli Marys Hochzeit so prunkvoll wie möglich zu feiern. Und vielleicht Ollys Verlobung mit dem österreichischen Erzherzog gleich dazu?
Während sich im Kaukasus Iwan Bariatinski und seine Truppen heftige Schlachten mit Teilen muslimischer Bergvölker aus Dagestan und Tschetschenien lieferten, die sich gegen die russische Kolonialisierung zur Wehr setzten, läuteten in St. Petersburg die Hochzeitsglocken.
Die Braut im obligatorischen kaiserlich roten und für Juli viel zu warmen hermelinbesetzten Mantel strahlte übers ganze Gesicht, was ihr die
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