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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Olly.
    »Hier seid ihr also.« Stirnrunzelnd schaute Mary von einem zum anderen.
    Olly stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus, Alexanders verwunderten Blick ignorierend. »Mein Knöchel, ich habe ihn mir ver treten!Wenn der Schmerz nachlässt, mache ich mich auf den Weg ins Haus.«
    »Nichts da, im Haus kannst du dich besser ausruhen als hier, komm, wir stützen dich«, sagte Mary resolut.
    Alexander wurde zurück in den Salon geschickt, Olly folgte Mary in einen der kleineren Räume. Während Mary eine Schublade nach der anderen nach Verbandszeug durchsuchte, schwappte eine Welle von Schwesternliebe über Olly. Mary hatte einst genau dasselbe durchgemacht wie sie. Sie hatte für ihre Liebe gekämpft wie eine Löwin. Bestimmt hatte sie die anfängliche Heimlichtuerei auch gehasst. Aber am Ende hatte sie gewonnen. Alexander hatte recht – Mary würde gewiss Verständnis für die beiden unglücklich Verliebten aufbringen. Und den einen oder anderen guten Ratschlag hatte ihre ältere Schwester auch immer parat.
    »Ach Schwesterherz, ich habe dich so vermisst!«
    Mary schaute sie befremdet an. »Den Eindruck hatte ich aber nicht, als du vorhin derart angeregt über Bad Ems erzähltest«, entgegnete sie und legte umständlich einen blütenweißen Verband um Ollys Fuß.
    Vielleicht war es besser, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen, beschloss Olly. »Oje, bestimmt habe ich euch mit meinen Geschichten aus der Provinz fürchterlich gelangweilt. Aber jetzt bist du an der Reihe: Wie waren die Weißen Nächte in diesem Jahr?«
    Mary zuckte mit den Schultern. »Wie immer. Langweilige Bälle, Einladungen ans Meer, ein paar Konzerte und Ballettvorführungen – Max und ich halten uns inzwischen von den meisten Amüsements fern. Diese arrogante St. Petersburger Gesellschaft! Und dann dieser Prunk und Pomp, der einen auf Schritt und Tritt verfolgt – nein danke. Glaube mir, da warst du in deinem provinziellen Hessen gut aufgehoben. Max und mir ist das einfache Landleben inzwischen auch lieber.«
    »So kenne ich dich gar nicht«, antwortete Olly lachend. »Früher warst du doch immer die Erste, wenn es etwas zu feiern gab. Nie konnte es dir prunkvoll genug sein.«
    Mary hob missbilligend die Brauen.
    »DieZeiten ändern sich. Und die Menschen ändern sich auch. Ich jedenfalls habe keine Lust, mir bei jeder Gelegenheit Gemeinheiten wegen Max anzuhören, nur weil er ein Ausländer ist. Keiner sieht, mit wie viel Mühe er sich eingelebt hat, ständig bekommt er die Verpflichtungen auferlegt, die kein anderer verrichten mag.« Bei den letzten Worten spannte Mary den Verband so heftig, dass Olly aufschrie.
    »Sachte, du tust mir weh«, sagte sie und rieb sich den schmerzenden Knöchel. »Übertreibst du nicht ein bisschen? Immerhin kommandiert Max die Brigade von Peterhof, das ist doch ein sehr ehrenvoller Posten.«
    »Ach ja? Das sag mal unserem lieben Onkel Michael. Der drangsaliert Max nämlich am meisten von allen.«
    Olly runzelte die Stirn. Was waren denn das für Töne? »Jetzt sind ja Papa und Sascha wieder da, bestimmt nehmen sie Max unter ihren persönlichen Schutz. Dann wagt keiner mehr, auch nur ein Wort zu sagen.«
    Mary lachte bitter auf. »Als ob Vater auch nur einen Finger für Max krümmen würde. Kaum ist er wieder im Land, hängt er schon erneut seinen Verschwörungstheorien hinterher, wittert hier einen Aufstand und da ein Komplott. Wahrscheinlich verdächtigt er im Stillen sogar meinen Max – immerhin ist er ja ein gemeiner Ausländer .«
    »Mary!« Entsetzt schlug Olly eine Hand vor den Mund. »Wie kannst du nur so reden? Vater tut doch alles für dich und Max, für uns alle …«
    »Ach ja?« Marys Arme sackten kraftlos nach unten, der Verband erschlaffte und wickelte sich von Ollys Knöchel ab. »Du hast ja keine Ahnung. Nur weil ich gute Miene zum bösen Spiel mache, herrscht hier noch lange nicht eitel Sonnenschein. Die Menschen können wirklich gemein sein. Manchmal tut es so weh, dass ich schreien möchte. Aber diese Genugtuung gebe ich Papa nicht.« Sie schluchzte auf.
    Beklommen nahm Olly die ältere Schwester in den Arm und streichelte ihr über den Rücken wie einem kleinen Kind. So unglücklich hattesie Mary noch nie erlebt, nicht einmal in der Zeit, als sie wegen ihrer Liebe jegliche Nahrung verweigerte.
    Zum Glück hatte sie der Schwester noch nichts von Alexander und ihr verraten, wie es aussah, würde sie in ihr doch keine Verbündete finden.

19. KAPITEL
    A m fünften Dezember fand

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