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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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versammeln. Ohne anstrengendes höfisches Protokoll. Ohne Eltern, Tanten und andere Verwandte, nur sie, die nächste Generation.
    Den ganzen Vormittag über hatte Olly Kleider anprobiert und wieder verworfen, dasselbe galt für ihre Frisur. Inzwischen waren ihre Haare wieder lang genug zum Hochstecken. Am Ende entschied sie sich für ein schlichtes, aber elegantes Baumwollkleid, das sie auch schon in Bad Ems getragen hatte. Ihre Haare ließ sie offen.
    Sehr viel mehr Mühe hatte es Olly gemacht, für Anna an diesem Tag eine Einladung ins Katharineninstitut zu organisieren, wo sie andere ehemalige Schülerinnen treffen sollte.
    Die rotbraune samtene Tischdecke, darauf der Samowar aus Tula, unzählige kleine Schalen mit Köstlichkeiten aller Art, golden verzierte Kerzen – Mary hatte alles wunderschön hergerichtet. Doch trotz der opulenten Tafel verspürte Olly weder Appetit noch Durst. Ihr Blick wanderte immer wieder unruhig in Richtung Tür. Als sie Cerises Lachen und Alexanders Stimme in der Eingangshalle hörte, wurde ihr vor Freude fast schwarz vor Augen. Gleich …
    »Und, freust du dich, Saschas Braut und ihren Bruder auch endlich kennenzulernen?«, fragte sie Kosty beiläufig, der neben ihr saß. Oje, wie ihre Stimme zitterte!
    »Miregal«, murmelte der Dreizehnjährige mürrisch und spielte mit der einzelnen Dattel, die auf seinem Teller lag.
    »Darf ich vorstellen, unsere liebe Schwägerin Cerise. Und Alexander, ihr Bruder.« Mit großer Geste bat Mary ihre Gäste ins Zimmer.
    Olly blieb fast der Atem stehen. Wie schneidig er aussah in seiner Uniform! Er wirkte ganz anders als in Bad Ems, erwachsener und –
    »Olly!« Schon stand er vor ihr, nahm ihre Hand, deutete einen Handkuss an.
    »Lieber Schwager, am besten setzt du dich neben Olly, auf dieser Seite des Tisches stehen die Chancen besser, etwas Essbares zu ergattern als drüben bei den Banausen«, sagte Mary lachend zu Alexander und zeigte dabei auf ihre jüngeren Brüder, die sich ihre Teller mit Trockenfrüchten, Keksen und andere Dingen vollhäuften. »Das sind übrigens Michael und Nikolaus, am besten gewöhnst du dich aber gleich an ihre Spitznamen Mischa und Nisi«, erklärte sie. »Der nette junge Herr hier ist Kosty, daneben sitzt mein Gatte Max, und Adini kennst du ja schon. Sascha konnte leider nicht kommen«, ergänzte sie bedauernd an Cerise gewandt. »Damit ist die Vorstellungsrunde beendet, setzt euch und lasst es euch gutgehen.« Schwungvoll füllte Mary Alexanders Teeglas.
    »Eine typisch russische Teestunde mit Samowar!« Cerise klatschte freudig in die Hände. »Liebste Mary, gilt es dabei spezielle Regeln zu beachten?«
    Ollys Herz klopfte so heftig, dass sie befürchtete, jeder am Tisch würde es hören. Den ganzen Morgen hatte sie krampfhaft überlegt, wie sie es wohl anstellen sollte, dass Alexander neben ihr sitzen durfte. Und nun hatte Mary es ihnen so leichtgemacht …
    Durch den seidenen Stoff ihres Rockes spürte sie seine Wärme, unauffällig rutschte sie noch ein Stück an ihn heran.
    »Du siehst wunderhübsch aus«, murmelte er.
    »Du hast mir so gefehlt«, gab sie flüsternd zurück.
    »Du mir erst.« Verstohlen drückte er unter dem Tisch ihre Hand.
    »Wir verschwinden so bald wie möglich, und wenn’s nur für ein paar Minuten ist, ja?«
    »Unddie anderen?«, fragte er skeptisch.
    Olly grinste verschwörerisch. »Lass mich nur machen.«
    Die nächste Stunde verging mit viel Plauderei, Gelächter und geschwisterlichem Necken, in das Cerise und Alexander schnell einbezogen wurden. Olly frohlockte. So wie es aussah, war Alexander auf dem besten Weg, auch die Herzen der Geschwister zu gewinnen.
    Vor lauter Freude lief ihr nicht nur das Herz über, sondern auch ihr Mund. Und so erzählte sie eine Geschichte nach der anderen aus ihrer Bad Emser Zeit. Den Vorfall mit dem Jagdhund Orpheus, den Alexander vorm Erschießen gerettet hatte, schmückte sie derart aus, dass ihre jüngeren Brüder sowie Adini gebannt an ihren Lippen hingen.
    Lachend unterbrach Alexander schließlich ihre Tirade. »Du stellst mich hin, als wäre ich der griechische Gott der Jagd. So rühmlich war mein Part nun auch wieder nicht!«
    »Wenn es nur einen Gott der Jagd gäbe«, bemerkte Kosty spöttisch. »Aber in der griechischen Sagenwelt nimmt diesen Platz ein weibliches Wesen ein, ihr Name ist Artemis, was jeder einigermaßen gebildete Mensch wissen sollte. Aber sei’s drum.« Er winkte großspurig ab. »So viel Getue um einen Hund ist ja

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