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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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vorüber und mit ihm das Weihnachtsfest am sechsten Januar 1841 . Während Cerise jedes russisches Ritual rund um die zahlreichen Festlichkeiten wie ein Schwamm in sich aufsaugte, sang Olly die weihnachtlichen Choräle ohne innere Beteiligung, aß die festlichen Köstlichkeiten ohne Appetit – selbst die Bescherung bereitete ihr in diesem Jahr weniger Freude als sonst. Was nutzten ihr goldene Haarbürsten und dicke Stränge von Perlenketten, wo sie doch nur einen wollte …
    Das laute Knacken der schmelzenden Eisschollen auf den Kanälen der Stadt ließ die Menschen vor Erleichterung aufseufzen: Nun war das Frühjahr nicht mehr weit!
    Das Hochwasser durch die Eisschmelze war gerade überstanden, als schon die ersten Reinigungskräfte durch die Gassen zogen. Mit eisernen Hacken kratzten sie braunschwarzen Dreck aus den Ritzen des Kopfsteinpflasters, dann wurde alles blank gefegt. Zerbrochene Steine wurden ausgetauscht, Stolperfallen beseitigt, schad hafteTreppenstufen erneuert. Andere Arbeiter reparierten defekte Regenrinnen, strichen die Fassaden der Paläste, schnitten über lange Baumzweige entlang der Alleen ab und erledigten dazu noch tausend andere Dinge. Die St. Petersburger, die die Besen- und Schaufelträger normalerweise keines Blick würdigten, lächelten sie plötzlich freundlich an – schließlich lag es an ihnen, dass sich ihr St. Pe tersburg zur Hochzeit des Zarewitschs am achtundzwanzigsten April von seiner allerschönsten Seite zeigte.
    »Und dann die Alpen im Morgenrot! Wenn die Spitzen wie geschmiedetes Eisen glühen – ganz famos ist das, ganz famos!« In fast kindlicher Manier klatschte Maximilian von Bayern in die Hände.
    Olly warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. Selten hatte sie jemanden kennengelernt, der sich so ereifern konnte.
    »Das Morgenrot, tja …«, sagte sie gedehnt. »Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass ich Langschläferin bin? Vor dem frühen Nachmittag verlasse ich das Bett eigentlich nie, heute bin ich nur Ihnen zuliebe schon wach.«
    »Wie ärgerlich! Ich hingegen bin meist schon vor dem Morgengrauen auf den Beinen«, entgegnete der bayerische Prinz.
    Bis zu Saschas Hochzeit waren es nur noch wenige Tage. Der Bayernprinz war frühzeitig angereist, um mit Olly über eine eventuelle Vermählung zu sprechen. Eigentlich hatte Olly ihn gar nicht sehen wollen, doch Anna hatte sie überredet. Auch wenn sie dem Bayern nicht zugeneigt sei, solle sie ihn wenigstens empfangen, das gebiete die Höflichkeit. Ihre Eltern wären zutiefst betrübt, wenn sich Olly anders verhielte.
    Also schlenderte Olly höflich mit Max durch den Michaelspark, gefolgt von Anna in geziemendem Abstand. Es war ein warmer Frühlingstag, in den Bäumen zirpten die Vögel um die Wette, Bienen tranken den frischen Nektar der blühenden Forsythiensträucher, und Grand Folie schnupperte am Wegesrand aufgeregt in jedes Mauseloch.
    »Wissen Sie, wer in die Berge will, muss früh hinaus«, sagte der Bayer voller Inbrunst.
    »DieBerge, oje«, seufzte Olly. »Die Berge bekommen mir leider gar nicht, ich habe nämlich Höhenangst.«
    Er schaute sie stirnrunzelnd an. »Höhenangst? Aber mein schönes Hohenschwangau liegt auf einem Berg.«
    Olly konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken. »Das macht doch nichts. Ob Berg, ob Tal, ich bin sowieso nicht gut zu Fuß, ich habe nämlich …« – sie winkte ihn näher zu sich heran und schaute sich gleichzeitig um, ob keine Mithörer in der Nähe waren – »Krampfadern!«
    »Krampf-« Mehr brachte Max von Bayern nicht heraus. Seine von unzähligen roten Äderchen durchzogenen Wangen liefen noch eine Spur röter an, das Gespräch wurde ihm zusehends peinlicher. »Dafür gibt es doch Ärzte …«
    Olly seufzte leidgeprüft. Für sie verlief das Gespräch ganz nach ihrem Geschmack.
    Unauffällig warf sie einen Blick auf die Kugeluhr, die an einer goldenen Kette um ihren Hals baumelte – ein Weihnachtsgeschenk ihres Vaters. Kurz vor halb zwölf. Um dreizehn Uhr war sie mit Cerise und Alexander verabredet, gemeinsam wollten sie Maria besuchen. Bis dahin würde es ihr bestimmt gelingen, den famosen Max abzuschütteln.
    Max von Bayern blieb stehen. »Liebste Olly, habe ich Ihnen eigentlich schon von meiner Sammlung antiker Musikinstrumente erzählt? Cellos, Bratschen, Violinen – dafür habe ich im Schloss einen eigenen Raum herrichten lassen. Man erzählte mir, Sie wären sehr musikalisch …«
    Olly zückte ihr Taschentuch und tat so, als wische sie sich eine

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