Die Zarentochter
Träne aus den Augen. »Ach, wie mich Ihre Worte schmerzen …«
»Aber wieso denn das?«
»Nun, mit meiner Musikalität ist es leider aus und vorbei. Seit meiner Nervenentzündung im vorletzten Winter höre ich auf dem rechten Ohr nur noch so ein Brummen. Nein, eher ein Surren, oder soll ich sagen, ein Hämmern?« Theatralisch hielt Olly ihre Hand ans rechte Ohr.
»Hämmern, Surren, Brummen – was denn nun?«, fragte Max von Bayernziemlich ungehalten. Er musterte Olly von oben bis unten. »Mir scheint, um Ihre Gesundheit ist es nicht gerade gut bestellt. Wenn das mein Vater erfährt …« Er zog eine Grimasse. »Er hat mir so sehr damit in den Ohren gelegen, welch gute Partie ich mit Ihnen machen würde, dass ich selbst auch schon halb taub davon bin.«
Olly stutzte. »Eine kränkelnde Dame würde in Ihrem rauen Bayernland gewiss keine gute Figur abgeben, das wird Ihr Vater bestimmt einsehen«, sagte sie unsicher.
»Sie in Bayern? Das ist in der Tat schwer vorstellbar.« Auf dem Gesicht des Prinzen breitete sich plötzlich ein Schmunzeln aus, das ihn richtig sympathisch aussehen ließ. »Liebe Olga, mir scheint, wir haben trotz aller Unterschiede eine große Gemeinsamkeit.«
»Ach ja?« Schon wich sie einen Schritt zurück. Er würde sie doch nicht etwa küssen wollen?
»Soll ich ehrlich mit Ihnen sein? Wahrhaft ehrlich?«
Sie nickte beklommen. Was für ein seltsamer Kauz.
Der bayerische Prinz nahm ihre Hand, gab ihr einen verspielten Handkuss. »Nun, weder Ihnen noch mir ist an dieser Heirat gelegen, vielmehr sind wir beide nur hier, weil unsere Eltern uns dies nahelegten. Dabei hätte mich mein Herz viel lieber woandershin geführt.«
Olly glaubte nicht richtig zu hören. »Ihr Herz hätte Sie woandershin geführt? Aber das ist ja … das …«
Ich gebe Sie frei! Folgen Sie dem Ruf Ihres Herzens, am besten jetzt gleich! , hätte sie am liebsten gerufen, doch Maximilian von Bayern lachte so herzhaft, dass sich seine Brust blähte.
»Krampfadern, Taubheit und Höhenangst – dass eine russische Großfürstin so schamlos lügen kann, hätte ich nie gedacht.«
Olly spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. War ihr Manöver wirklich so durchsichtig gewesen?
»Dann kann ich ja auf der Stelle wieder gesund werden«, sagte sie schmunzelnd.
Gott hatte es für sie gerichtet! Gott hatte dafür gesorgt, dass Max von Bayern sie fortan in Ruhe lassen würde. Und zwar auf eine Art, dass die Eltern ihr keinen Vorwurf machen konnten. Erleichtert fiel sie in Max’ Lachen ein.
Handin Hand liefen die beiden zurück zum Winterpalast, gefolgt von Anna, die sich auf das Ganze nicht den geringsten Reim machen konnte.
»Und? Bist du den Bayern losgeworden?«
»Nicht so laut«, raunte Olly ihrer Schwägerin zu, doch dann platzte sie heraus: »Max von Bayern hat eingesehen, dass wir nicht zusammenpassen. Ach Cerise, ich bin so froh! Jetzt muss sich nur noch die unselige Geschichte mit Stephan klären, und dann bin ich endlich, endlich frei …« Aus dem Augenwinkel registrierte sie den Blick von Julia von Haucke, die mit betont uninteressierter Miene eines von Cerises Kleidern ausbürstete. Sie runzelte die Stirn. Musste die Hofdame eigentlich ständig in Cerises Nähe herumwuseln?
»Julia, wenn du so freundlich wärst, in mein Zimmer zu gehen? Anna soll dir meine Perlenketten aushändigen. Ich möchte sie Cerise für unseren heutigen Ausflug unbedingt leihen.«
Unwillig schlenderte die junge Gräfin davon, man konnte ihr ansehen, dass sie viel lieber dem spannenden Gespräch gelauscht hätte.
»Du kannst sie nicht leiden, nicht wahr?« Cerise seufzte, kaum dass Julia außer Hörweite war.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Olly lahm. Wenn sie ehrlich war, machte allein der Anblick der attraktiven Gräfin mit dem tiefbraunen Haar, den funkelnden Augen und den verschmitzten Wangengrübchen sie wütend, vor allem, seit sie bei mehreren Gelegenheiten selbst hatte mit ansehen müssen, wie Julia Alexander anschmachtete. Und wenn er ihr noch so oft versicherte, dass ihm dies gar nicht auffiele, Olly blieb misstrauisch.
»Dabei habt ihr doch eine Gemeinsamkeit, auch sie schwärmt sehr für Alexander.« Cerise kicherte.
Olly versetzte der Schwägerin einen Knuff. »Das finde ich nicht lustig. Wehe, du lädst sie ein, mit uns aufs Land zu fahren. Alexander und ich haben so selten Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu sprechen, da brauche ich nicht auch noch eine Julia von Haucke, die uns ständig am Rockzipfel
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