Die Zarin der Nacht
gestrichen hat. Platon sitzt neben ihr, sehr elegant in seinem mit Silber bestickten Jackett, am Kinn ein Schatten von schwarzem Bart.
Was geht ihm durch den Kopf? Erinnerungen an ihre Lust?
Paul und Maria Fjodorowna haben sich zu ihnen gesellt. An ihren blitzblanken Gesichtern kann sie ablesen, dass sie entschlossen sind, sich liebenswürdig heiter zu geben und nicht den kleinsten Anstoà zu erregen. Paul erklärt, dass er die jüngsten UmbaumaÃnahmen überaus gelungen findet. »Weniger
protziger Glanz, dafür mehr Eleganz«, sagt er. Die diskret geschmackvollen Porzellanornamente gefallen ihm unendlich viel besser als all das Gold, für das Elisabeth so schwärmte. Er dankt es seiner GroÃmutter nicht, dass sie ihn seiner Mutter weggenommen hat. Die lebende Kaiserin triumphiert über die tote.
Maria Fjodorowna zollt pflichtschuldig den Büsten in der Galerie ihre Bewunderung. Demosthenes und Cicero, beide tief sinnend und wunderbar abgeklärt. »Kein Wunder, dass die Jungen hier so gern spielen. Ich hoffe nur, sie machen nichts kaputt.«
Die Prinzen des Reichs sind natürlich keine streunenden Lausbuben. Sie sind nie ohne Aufsicht und planvolle Unterweisung, dafür hat ihre GroÃmutter von Anfang an gesorgt. Und wenn es auch ihrer Schwiegertochter schwerfallen mag, das zu begreifen, so ist es doch wahr, dass man die wichtigen Dinge am besten im Spiel lernt.
Aber sie spricht es nicht aus. Es würde nur die heitere Stimmung stören.
Die Unterhaltung wendet sich einem Gemälde zu, das die Kaiserin vor kurzem gekauft hat. Ein Strauà Tulpen in einer Kristallvase, weiÃe Blütenblätter mit gelben und rosa Einsprengseln. Ein Blütenblatt ist schon abgefallen. Es liegt auf dem Tischtuch, ein glänzender Tautropfen hängt daran. Der Händler nannte es ein Bild der vanitas, der Vergänglichkeit allen Lebens. Im Hintergrund kann man die Umrisse einer Sanduhr und eines krümeligen Stücks Brot erkennen.
Le Noiraud fasst in seine Brustasche. In seinen Augen ist ein schelmisches Funkeln. Offenbar heckt er wieder etwas aus, einen jener Scherze, mit denen er die Langeweile vertreibt. Er zieht ein Buch hervor, Holbergs Moralische Gedanken, und schlägt es auf, scheinbar aufs Geratewohl, aber sie weiÃ, dass dieser Eindruck täuscht: Er hat Stellen für verschiedene Gelegenheiten mit farbigen Bändchen eingemerkt. Rot für Kritik
an menschlichen Schwächen. Gelb für raffiniert Zynisches. Grün für aufmunternde Gedanken.
Bildet euch ein, dass ihr glücklich seid, so seid ihr es tatsächlich.
Er klappt das Buch zu.
»Ach so ist das!«, sagt sie und versetzt ihm mit ihrem Fächer einen Klaps auf die Wange. »Du stellst dir nur vor, dass du glücklich bist?«
Philosophie und Witz sind nicht Le Noirauds Stärken, aber er schafft es gewöhnlich, sich mit seinem Charme aus der Affäre zu ziehen und sie mit einer blumigen Liebeserklärung zum Lachen zu bringen.
Aber an diesem sonnengesprenkelten Nachmittag, den sie da in Gesellschaft marmorner antiker Weiser verbringen, passiert etwas Unerwartetes.
Paul, ihr stumpfnasiger Sohn, fuchtelt aufgeregt mit den Armen â wie ein übergroÃer Erpel, der mit den Flügeln schlägt, um sich selber Mut zu machen, sieht er aus. Und er erklärt: »Ich bin vollkommen einer Meinung mit Platon Alexandrowitsch.«
Le Noiraud lehnt sich bequem zurück, streckt die Beine aus und faltet die Hände hinter dem Kopf. »Habe ich etwas Dummes gesagt?«, fragt er.
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Ist es das, was le Noiraud gerade durch den Kopf geht? Ist es diese Erinnerung, die ihm so schrecklich Angst macht?
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16.05 Uhr
Der grüne Wandschirm steht jetzt näher beim Bett, am FuÃende, sodass sie besser vor neugierigen Blicken geschützt ist. Wie aufmerksam! Alexander, denkt sie. Er muss es angeordnet haben. Sie empfindet eine so tiefe Dankbarkeit und Rührung, dass ihr ganz eng in der Brust wird. In solchen kleinen Gesten zeigt sich wahre GröÃe.
Ihr edler Ritter, ihr Krieger, ihr Erbe.
Durch den Schirm hört sie Besborodkos schmeichelnde Stimme, die besänftigend auf jemanden einredet. »Hoheit«, hört sie, »meine tiefste Ergebenheit.«
Alexander â denn die hoch aufragende Gestalt neben ihrem Bett, die sie nur verschwommen sieht, kann niemand anders als ihr Enkel sein â trägt einen grünen Rock mit roten Aufschlägen. Es
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