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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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finden«, erklärt die Kaiserin und verspricht ihnen einen Rettungstrupp. Zu Alexandrine sagt sie warnend, mit roten Augen werde sie auf dem Ball der Eremitage, den sie für morgen geplant hat, nicht hübsch aussehen.
    Den schwedischen König erwähnt sie nicht.
    Alexandrine zerrt an ihren Zöpfen, eine flüchtige, nervöse Geste, die nicht zu ihrer sonstigen heiteren Gelassenheit passt. Jelena malt mit ihrem Fuß einen Kreis, zieht das Muster des Mosaikfußbodens nach. Maria steckt den Finger in die Nase. Alle drei halten sich nicht sehr gerade, und als sie ihr Aussehen näher prüft, sieht sie die fleckigen Manschetten, die tintenbe
klecksten Finger, die völlig abgekauten Fingernägel. So viel dazu, dass sie deren Mutter und den Gouvernanten eine ordentliche Erziehung ihrer Enkelinnen zugetraut hat.
    Bisher hat sie sich nicht eingemischt. Die Verantwortung für die Jungen reicht ihr. Ihre Schwiegertochter hätte in der Lage sein sollen, mit den Mädchen zurechtzukommen. Aber jetzt wünscht sie, sie wäre wachsamer gewesen. Pauls Frau ist zu nachgiebig, verlässt sich zu sehr auf die guten Anlagen der drei.
    Â»Als ich ein Mädchen war«, erklärt sie ihren Enkelinnen, »durfte ich nicht so nachlässig dastehen. Und auch nicht wie ein Milchmädchen in der Nase bohren.«
    Maria versteckt ihre Hand hinter dem Rücken. Sie ist ein stämmiges Kind, kräftiger als ihre Schwestern. Ihr Gesicht ist rosig, als hätte sie ihr Leben wie eine Bäuerin im Garten verbracht. Jelena streckt sich und streicht ihr Kleid glatt. Es ist ein wunderhübsches Kleid aus indischem Musselin, dottergelb, mit einem bestickten Saum. Viel hübscher als Alexandrines rosafarbenes Gewand.
    Â»Bitte, Grandmaman«, kann Alexandrine gerade noch sagen, ehe ihre Stimme in Schluchzen erstickt.
    Â»Pssst, Liebes«, sagt sie. »Keine Tränen mehr.«
    Im Stillen verflucht sie Bolik, diese undankbare Kreatur. Sie denkt an die verwilderten Hunde, die am Ufer herumstreifen. Die in Rudeln leben und sich irgendwie durchschlagen. Die Palasthunde haben gegen die Straßenköter keine Chance. Womöglich sind von Bolik inzwischen kaum mehr als ein paar blutige Fetzen weißen Fells und ein zerkauter Knochen übrig.
    Sie klingelt nach Sotow und befiehlt ihm, nach dem Hund zu suchen. Ihr Kammerdiener nickt ernst, als Jelena und Maria die Einzelheiten von Boliks Flucht wiederholen. Alexandrine schweigt.
    Â»Ich verspreche es.« Sotows ruhige, verlässliche Stimme hallt noch nach, als er die Mädchen schon nach draußen begleitet. »Wir werden ihn finden.«
    Â 
    Als ihre Enkelinnen gegangen sind, fällt es ihr schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Woher kommt diese unkindliche Traurigkeit, die Alexandrines Augen verschattet? Diese Hartnäckigkeit, mit der sie darauf besteht, Pilgern die Almosen persönlich zu geben, ungeachtet der schmutzigen Hände voller Geschwüre und des Gestanks der verdreckten Lumpen an ihren verfaulenden Füßen? Woher kommt diese feste Überzeugung, dass ein Unglück geschieht, wenn sie einmal ihr Morgengebet versäumt?
    Â»Das liegt daran, dass du dumm bist«, hat Konstantin zu ihr gesagt, woraufhin Alexandrine erwiderte: »Es muss auch dumme Menschen auf der Welt geben.«
    *
    Auch die geschlossenen Fenster des Winterpalasts können den Lärm der Stadt, das Rufen und Schreien nicht aussperren. Hunde heulen, Händler preisen ihre Waren an. In Sankt Petersburg ist die Menge nie sehr fern. In der Millionnaja wimmelt es von Dienstleuten und Hofschranzen. Karossen bleiben stecken, Kutscher verfluchen die Unfähigkeit ihrer Kollegen, ihr mangelndes Geschick. Pferde scheuen bei plötzlichen Bewegungen, schlagen aus und beißen. Diese Stadt ruht nie und verstummt nie.
    Doktor Rogerson, neben ihr, ergeht sich in seinem Lieblingsthema.
    Â»Frauen sind viel amouröser veranlagt als Männer, Majestät. Sie haben mehr Vergnügen an ehelichen Umarmungen. So ist der weibliche Körper beschaffen. Ein Zeichen, dass vitale Kräfte, animalischer Magnetismus am Werk sind.« Der menschlichen Gesellschaft, führt er weiter aus, sei es leider bisher nicht gelungen, sich diesen Überfluss an weiblicher Energie zunutze zu machen.
    Sie stählt sich für einen seiner Vorträge. Männer lieben es,
sie zu belehren. Ein weiterer kaiserlicher Ukas, Majestät! Einige strenge Befehle! Auch

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