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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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alles Geflüster um einen herum gelte den eigenen Unzulänglichkeiten. Wenn das so weitergeht, müsste Alexander allerdings mitgeteilt werden, dass solch ein Benehmen kein gutes Licht auf seine junge Frau wirft, die – eines Tages – Kaiserin von Russland sein wird und allen Großfürstinnen ein Vorbild sein sollte.
    Â»Ist alles in Ordnung, Katinka?«, flüstert Le Noiraud. Er hat ihre Hand genommen und bedeckt sie mit Küssen, die ihr einst die Röte auf Hals und Wangen trieben, doch jetzt nur noch kitzeln. Das vor allem wünscht er sich zurück. Jenes alte Hochgefühl, das er einst aus seiner Macht über ihre Lust zog.
    Ihr Liebhaber ist noch so jung. Mit siebenundzwanzig begreift man nicht, dass Verlangen welken kann. Hat den Aschegeschmack des Alters noch nicht geschmeckt.
    Schmetterlinge umflattern sie. Einige sind so groß wie Rosenblüten. Mit seltsamen Mustern auf den Flügeln. Sie nähren sich von kleinen süßen Melonenstücken, die die Gärtner auf Tellern auslegen.
    Sie möchte nicht, dass er sich verletzt fühlt. Alles ist so gut, wie es nur sein kann. Niemand wird ihn ersetzen. Niemand könnte es.
    Schwer zu sagen, was ihr Herz mehr rührt. Die kecke Verspieltheit seiner Berührung? Sein ruhiger Kopf in ihrem Schoß, hingegeben, zerbrechlich, ganz der Ihre? Denn Le Noiraud würde alles tun, um sich den Status zu erhalten, den er durch ihre
Zuwendung erlangt hat. Würde sich auf die Brust schlagen, eine Dornenkrone aufsetzen. In seinem Zimmer liegt eine Pistole, gefettet und bereit. »Wenn Sie mir befehlen zu gehen, schieße ich mir das Gehirn weg«, hat er einmal zu ihr gesagt.
    Â»Weißt du noch, wie du den Kindern damals auf der Wiese deine Kartenkunststücke gezeigt hast?«, fragt sie. »Ich habe noch nie erlebt, dass Konstantin von etwas so beeindruckt war. Und er war nicht der Einzige!«
    Ein Flackern in seinen herrlichen schwarzen Augen verrät ihr, dass sie gewonnen hat.
    *
    Alle drei knicksen. Sie ringen die Hände. Alexandrine, die als Erste eingetreten ist, hat rotgeweinte Augen und eine geschwollene, rote Nase. Ihre Schwestern Jelena, zwölf, und Maria, zehn, folgen ihr.
    Alexandrine ist die, die spricht. Sie haben im Garten gespielt. Alexandrines Hund hat ein Kaninchen gejagt. Sie hat ihn gerufen. Bolik. Bolik.
    Er hat sie nicht gehört.
    Er ist nicht zurückgekehrt.
    Er ist auch abends nicht wiedergekommen, wie der Gärtner versprochen hat.
    Â»Wir haben überall gesucht«, ergänzt Jelena mit einem dunklen Unterton von Befriedigung. Dieses Kind genießt schlechte Nachrichten, als würden Unglücksfälle ihr einen Pessimismus bestätigen, den sie jedoch nicht zu äußern wagt. Maria nickt ernst und feierlich, sie hat einen Rußfleck auf der Wange.
    Â»Ich habe gerufen und gerufen, Grandmaman«, wiederholt Alexandrine mit stockender, zittriger Stimme. »Aber Bolik ist nicht wiedergekommen.«
    Drei Augenpaare sind jetzt auf sie gerichtet. Sie ist die Kaiserin. Sie kann Dinge in Ordnung bringen, kann Dienstboten
auf die Suche nach Bolik schicken. Als ihre Enkel noch kleiner waren, glaubten sie fest daran, ihre Grandmaman besäße einen fliegenden Teppich und einen unsichtbar machenden Umhang, womit sie überall hingehen und alles belauschen konnte.
    Bolik ist ein weißer Bologneser. Sein Fell besteht aus einer Masse weißer, wolliger Löckchen. Ein kluger, kleiner Hund, der noch niemals Ärger gemacht hat. Wieso ist er plötzlich weggelaufen und nicht wiedergekommen?
    Der Gärtner, sagt ihre Enkelin, habe Bolik am Gartentor gesehen. Er habe versucht, ihm den Weg zu verstellen, aber Bolik sei zu schnell gewesen.
    Â»Als hätte ein Teufel ihn gejagt«, wiederholt Jelena die Worte des Gärtners, langsam, ihre Bedeutung wägend. Nach dem Tod ihrer Schwester Olga im vergangenen Jahr will Jelena ständig Geschichten von Geistern und Hexen hören. Die dummen Zofen entsprachen ihrem Wunsch und erzählten ihr von schwarzen Kesseln, in denen Gift gebraut wird, und von bleichen Gespenstern, die nachts durch die leeren Palastflure geistern. »Besessen« sei sie gewesen, sagten die Zofen über die gestorbene Olga, sie habe unaufhörlich essen müssen. »Als hätte ihr Magen sich in ein bodenloses Loch verwandelt.«
    Â»Bisher ist Bolik immer gekommen, wenn ich ihn gerufen habe«, sagt Alexandrine.
    Â»Wir werden ihn

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