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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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vor der gefrorenen Welt verströmt. Immerhin schlängelt sich ein kleiner Bach fröhlich plätschernd zwischen Lorbeerbäumen und Kreppmyrthen hindurch, fließt an den Büschen entlang, in denen Wildhühner nisten. Es gibt dort auch Affen und Kaninchen, weiße Meerschweinchen, manche an der Leine, manche nicht.
    Vögel fliegen in ihrem Paradies frei umher und picken die Körner auf, die für sie zwischen die Blumen gestreut wurden. Nur die großen Vögel sind angebunden. Ein Adler, ein Storch und ein Kranich. Jetzt im Sommer lässt die Kaiserin sie aber nach draußen bringen, dorthin, wo das Gelände mit einem feinen Netz eingefasst ist, damit sie nicht fortfliegen können.
    Â»Woran denkt du?«, wiederholt Le Noiraud leicht gereizt.
    Â»An unsere schwedischen Gäste.«
    Gustav Adolf und sein Onkel haben sich aus der schwedischen Gesandtschaft gewagt, allein und in einfache Kaufmannsgewänder gekleidet. Laut Besborodkos jüngstem Bericht nannte der Regent Petersburg eine schlechte Imitation europäischer Hauptstädte. »Haben Sie bemerkt«, sagte er zum König, »dass Reisende, die über die Schönheit der russischen Paläste schreiben sollten, schließlich stets bei der Aufzählung von Fluren, Zimmern und Treppenhäusern landen? Als hätte man sie für deren Reinigung angestellt!« Der junge König, Gott segne ihn, erwiderte, er bilde sich seine Meinung nicht gern aufgrund von Eindrücken anderer Menschen. Er wünsche mehr über das russische Leben zu erfahren.
    Das in etwa berichtet sie ihrem Liebhaber, aber natürlich, ohne Besborodko zu erwähnen. Nicht, dass das etwas genützt hätte.
    Es ist nicht schwer, Le Noirauds Gedankengänge zu erahnen. Dem verschlungenen Pfad der Eifersucht und des Unmuts
zu folgen, die ihn fragen lassen: »Ist es wieder Besborodko? Erzählt er dir Lügen über mich?« Seine Finger zupfen am bestickten Saum seiner Weste, lockern den Goldfaden. Er krümmt die Schultern, wie um sich zu schützen. Eine unauffällige Geste, aber eine, die ihr nie entgeht.
    Le Noiraud, ihr hübscher, grüblerischer Falke. Sein Gesicht wirkt so gelassen, so patrizisch. Die hohe Stirn, die römische Nase. Die weiße, glatte Haut, die Augen, immer noch voller nachdenklicher Süße, obwohl jetzt Angst in ihnen aufblitzt. Die meisten Menschen sind so hässlich. Vor allem Männer. Dicklich, mit schuppiger Haut und Verkrustungen in den Falten. Haaren, die ihnen aus den Ohren herausschauen.
    Â»Niemand erzählt mir Lügen über dich«, sagt sie und weiß nur zu gut, wie selten Worte ihn beruhigen können.
    Le Noirauds Stirn kräuselt sich. Seine Hand legt sich auf ihre, drückt sie. Die Eifersucht quält ihn. Phantastische Spekulationen, die ihr früher geschmeichelt hätten.
    Â»Was erzählt der Herr Ich-bin-besser-als-Sie denn nun über mich?«, wiederholt Le Noiraud mit leiser, klagender Stimme. Seit Jahren spielen die beiden das Spiel subtiler Kränkungen. Eine zu flüchtige Verbeugung. Ein nicht entgangenes spöttisches Lächeln, ein Zwinkern, ein rascher Rückzug, um die Nähe des anderen zu vermeiden. Nichts, was einer dem anderen vorwerfen könnte. »Ich empfinde die aufrichtigste und tiefste Hochachtung für Seine Hoheit«, pflegt Besborodko jedes Mal auf ihre Nachfrage zu sagen. Platon seinerseits ist immer noch überzeugt, dass ihr Minister hinter ihrer Weigerung steckt, ihn in den polnischen Krieg ziehen zu lassen, egal, wie sehr sie sich bemüht, ihm das Gegenteil zu versichern. »Wieso kannst du dir nicht vorstellen, dass ich dich in Sicherheit und bei mir wissen wollte!«
    Â»Dass er die aufrichtigste und tiefste Hochachtung für dich empfindet«, sagt sie jetzt.
    Â»Heuchler.«
    Sie seufzt. Sie möchte Le Noirauds Ängste nicht bagatellisie
ren, doch andere Angelegenheiten bereiten ihr größere Sorgen. Zum Beispiel ist Wischka aufgefallen, dass Konstantins Frau, Anna Fjodorowna, viel zu viel Zeit mit Alexanders Frau verbringt. Vielleicht fühlt Anna Fjodorowna sich einfach einsam. Innerhalb weniger Monate hat das Mädchen ihre Religion, ihr Land und ihre Familie gewechselt. Ihre Mutter und Schwestern sind zurück nach Coburg gereist, und womöglich wird Anna sie nie wiedersehen. Die Einsamkeit ist verständlich. Und auch die zunehmende Unsicherheit, die daraus folgt. Irgendwann glaubt man,

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