Die Zarin der Nacht
schmerzlichen Grimasse verzogen. Den ganzen Abend über hat Platon keine Anstalten gemacht, mit jemandem zu tanzen, obwohl Dolgoruka versucht hat, ihn zu einer Polonaise zu nötigen. Er blieb getreulich an der Seite seiner Kaiserin und amüsierte sie mit seinen geistreichen Bemerkungen: »Manchmal ist es nötig, den Narren zu spielen, um nicht von durchtriebenen Menschen überlistet zu werden.« Oder, noch häufiger, vertraute er auf die Wirkung amüsanten Klatschs: Die Frau des Regenten sei Lesbierin und in eine fette Französin verliebt. Prinz Adam â »Wieso klebt er an Alexander wie eine Klette an einem Hundeschwanz, Katinka?« â habe Repnins Augen und Repnins Kinn, aber die römische Nase seiner Mutter.
Nun, da er mit ihr allein ist, kann Le Noiraud seine Wut nicht länger unterdrücken.
Er ist gedemütigt worden. Er ist gekränkt worden. Nicht nur der preuÃische Gesandte, sondern sogar dieser schwedische Kümmerling von Regent hat ihn mit Mon Prince angeredet.
Der Zorn lässt ihn wachsen, konturiert seine Gesichtszüge. Le Noiraud zerrt an seinem Hemd, reiÃt Knöpfe ab, die unter das Bett rollen. Perlmutt, in Gold gefasst. Wischka wird sie morgen früh aufsammeln müssen.
»Sprich leise«, ermahnt sie ihn voller Ungeduld. Sie glaubt nicht, dass es dem kleinen Regenten gelingen könnte, jemanden aus ihrem Umkreis zu bestechen, aber sie hält viel von Vorsicht. Sie möchte sich zur Ruhe legen und nicht irgendwelche eingebildeten Kränkungen diskutieren. Ihr Bein meldet sich mit einem Ziehen zurück, einem Pulsieren, das fast schon an Schmerz grenzt.
Le Noiraud hockt sich auf ihre Bettkante. Dunkle Locken schauen aus seinem offenen Hemd hervor. »Katinka«, sagt er, und ihm bricht die Stimme. Er schlingt die Arme um sie, will sie küssen, aber sie wendet abrupt den Kopf ab, und seine Lippen landen auf ihrer Wange.
Er schaut verblüfft auf, zwinkert, wie um Tränen zu unterdrücken.
Seine Empfindsamkeit rührt ihr ans Herz. Ohne mich wird er zugrunde gehen, denkt sie.
Sie setzt sich neben Le Noiraud und legt ihre Hand auf seine. Es ist spät. Trotz geschlossener Fenster und zugezogener Vorhänge dringen gedämpfte Ballgeräusche in ihr Schlafzimmer. Gelächter, das Stakkato tanzender FüÃe. Es wird schwer sein einzuschlafen, und dabei hat sie am nächsten Morgen Arbeit zu erledigen.
»Madame Lebrun war sehr angetan von der Form deiner Lippen«, sagt sie. »Oder war es der patrizische Schwung deiner Stirn?«
Platons Hand zittert immer noch unter ihrer, aber schon lächelt er, ihr kapriziöser Schmetterling, der so leicht zufriedenzustellen ist, auch mit winzigen Siegen. Er bettet den Kopf in ihren SchoÃ.
»Würdest du dich von ihr malen lassen, Katinka? Wenn ich dich bitten würde?«
»Würde es dir denn Freude machen?« Sie schlieÃt die Augen. Sehnt die Dunkelheit herbei. Ausgelöschte Kerzen. Das Geräusch von Platons FüÃen, wenn er die Treppe zu seinem eigenen Zimmer hinaufsteigt.
»Ja.«
»Dann tue ich es.«
»Wann?«
»Sobald Alexandrine nach Stockholm abgereist ist.«
»Versprochen.«
»Versprochen.«
*
Nach dem Sieg: Stanislaw August, der König von Polen, befindet sich, ihrem Befehl gemäÃ, in Grodno. Seit einigen Mona
ten ist Reiten seine gröÃte Leidenschaft. Die Landschaft um Grodno lädt ganz offensichtlich zum Träumen ein. Das silberne Band der Memel bezaubert.
Fürst Repnin, der für den königlichen Gefangenen verantwortlich ist, warnt, Stanislaw schreibe seine Memoiren. Konfessionen nennt er sie, nach der Art des abscheulichen Rousseau.
Sie braucht keine Warnungen. Der Archivar des Königs ist einer ihrer besten Spione. Die Briefe des Königs werden geöffnet und gelesen, seine Papiere kopiert. Sämtliche Besucher, die den Palast von Grodno betreten oder verlassen, einschlieÃlich Familie und Freunde, werden gründlich durchsucht, ihre Bewegungen festgehalten und zeitlich erfasst. Sie weiÃ, wem Stanislaw verschlüsselt geschrieben, wen er darum gebeten hat, Polens Auflösung offen zu verurteilen. Sie weiÃ, wer â bis jetzt â eine Antwort vermieden und wer der Bitte entsprochen hat und warum. Sie weiÃ, dass Stanislaw sich wegen der Ohnmachtsanfälle seiner »heimlichen« Frau sorgt. Sie weià auch, wer Rotweinflaschen aus seinem Keller
Weitere Kostenlose Bücher