Die Zarin der Nacht
waren geöffnet, und sie hatte Schreie gehört. »Wie eine lebendig gehäutete Katze«, stöhnt Wischka.
Ob sie wohl jemals gehört hat, wie einer Katze das Fell abgezogen wird?
Konstantin, dem sie, die Kaiserin, einst den Glanz des byzantinischen Reichs zugedacht hatte, Konstantin, der das Licht der Orthodoxie in den dunklen Osten hätte tragen, die russischen Truppen nach Konstantinopel führen, die Türken besiegen und das Goldene Vlies heim nach Russland bringen sollen, ist eine Enttäuschung. Betrunkene Abende in Tavernen, zerschmetterte Möbel, unbezahlte Schulden, mit Prügeln bedrohte Schuldner â all das hat trotz zahlloser Versprechungen nie aufgehört.
Sie wirft einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das weggelegte Buch und beruhigt ihre Zofe. Konstantin ist ein ungehobelter Bär. Das ist er schon seit seiner Kindheit. Schon damals klagten seine Lehrer, er arbeite nur sporadisch nach Lust und Laune. Ãbersetze Plutarch aus dem Griechischen, nur um loszurennen und Vögel zu schieÃen, sobald sein Erzieher ihm den Rücken kehrte. Kein Wunder, dass er keine Geduld mit seiner Frau hat.
Wischka nickt zu alledem, will aber noch nicht aufhören. Im Marmorpalast erlaubt GroÃfürst Konstantin niemandem,
sein privates Gemach zu betreten. Wenn der Geruch darin zu schlimm wird, verbrennt der GroÃfürst eine Duftkartusche. Die Mägde bitten, den Raum reinigen zu dürfen, doch ihnen wird der Eintritt untersagt. Die Wände des groÃen Salons sind voller Rotweinflecken. Die Porträts in der Galerie von Kugeln durchsiebt. Bei zweien sind die Augen herausgeschnitten. Der Teppich im Schlafzimmer besteht nur noch aus Fetzen. »Und GroÃfürstin Anna Fjodorowna weint jetzt die ganze Zeit«, fügt sie hinzu. »Sie will nicht sagen, wieso, Majestät.«
Anna Fjodorowna ist, um ehrlich zu sein, nicht das allerhellste unter Gottes Geschöpfen. Ein hübsches Gesicht, aber ihre Bewegungen sind linkisch, und ihre Bildung wurde, um das Mindeste zu sagen, vernachlässigt. Seit sieben Monaten ist sie in Russland, und ihr Russisch hat sich kaum verbessert.
Es hat auch schon andere Berichte gegeben. Anjetschka hat erzählt, die Prinzessin lese haufenweise französische Romane und weine sich über die Schicksalsschläge erfundener Liebender die Augen aus. Was erwartet Anna denn? Schwülstige Liebeserklärungen ihres Gatten? Anhimmelnde Blicke? Mondsüchtiges Starren? Platon hat es am besten ausgedrückt: »Sie hat den Verstand eines Schafs. Sieht nur ihr eigenes Elend.«
»Erzähl mir alles«, sagt sie seufzend zu Wischka.
Anna Fjodorowna beklagt sich, ihr Mann ignoriere sie. Konstantin beklagt sich, seine Frau schmolle ständig.
Beunruhigender ist, dass Anna Fjodorowna und Alexanders Ehefrau, trotz deutlicher Missbilligung ihrer Majestät, einander weiterhin besuchen. Und seit einiger Zeit finden diese Besuche heimlich statt. Mehr als einmal sind Dienstboten bestochen worden, um Anna mit verschleiertem Gesicht über Hintertreppen hinauszuführen. Elisabeth, die solche Ränke eigentlich ablehnen sollte, beteiligt sich daran. Man hat die beiden auf Deutsch miteinander flüstern hören.
Nun ja, denkt die Kaiserin. Dumme Mädchen halten zusammen.
»Das geht vorüber, Wischka.«
»Aber es ist nicht richtig, Majestät.« Wischka bleibt beharrlich. »GroÃfürstin Elisabeth hat solch ein weiches Herz. Man kann so leicht Kummer bei ihr abladen, mit dem sie besser verschont bliebe.«
Die treue Wischka. Wie sie mit Andeutungen und Hinweisen jongliert. Was ihre Zofe eigentlich sagen will, ist, dass Elisabeth sich darauf konzentrieren sollte, schwanger zu werden. Und dass sie mehr auf ihre Stellung am Hof achten sollte. Sich über ihre Schwägerin stellen, Abstand halten sollte. Elisabeth, die eines Tages die Gemahlin des Kaisers sein wird, sollte darauf achten, wessen Vertraulichkeiten sie entgegennimmt, wessen Geflüster sie Beachtung schenkt.
Es ist immer noch Sommer, aber drauÃen sammeln sich schon die Zugvögel in lebhaft lärmenden Gruppen. Aus dem mit Netzen eingefassten Bereich hört sie das aufgeregte Durcheinander der Schar. Schwalben, Turteltauben und Pirole flattern nervös von Ast zu Ast.
Sie sehnt den Winter nicht herbei, die pelzgefütterten Stiefel, die schweren Umhänge. Die Räume, die mit heiÃem Essig und Minze parfümiert sind, da niemand
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