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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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wagt, die Fenster für mehr als einen kurzen Augenblick zu öffnen. Ihre schmerzenden Knochen haben noch nicht genug Sonnenwärme gespeichert.
    Â»Deshalb ist Konstantin böse auf seine Frau«, fährt Wischka fort, ohne auf das erregte Geflatter der Vögel zu achten. »Unsere hochmächtige Prinzessin weiß nicht, wann sie aufhören muss. Sie erwartet Beachtung, aber was ist sie denn bereit zu geben?«
    Glücklicherweise erwartet Wischka keine Antworten auf diese Fragen. Zufrieden, dass sie ihre Sorge losgeworden ist, kann sie jetzt sogar einräumen, dass die Dinge vielleicht doch nicht ganz so düster aussehen.
    Â»Dass sie sich streiten«, sagt sie, »ist ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass sie einander nicht gleichgültig sind.«
    Â 
    Im Laufe der nächsten Wochen wird es viele Bälle und viele festliche Diners zu Ehren des schwedischen Königs geben. Der erste Ball wird im Taurischen Palast stattfinden. »Wäre es im Winterpalast nicht passender?«, hat Le Noiraud schon gefragt. »Nur ein Stockwerk, keine Treppen«, hat sie geantwortet. »Viel einfacher für die Knie der Gäste.« Ich muss dieses schöne Kind anlügen. Das weißt du, Grischenka, denkt sie, und – im Geiste – hört sie ihren Fürsten von Taurus als Antwort kichern.
    Nach der Nachricht von seinem Tod begab sie sich jeden Tag in den Taurischen Palast, manchmal auch nur für ein paar gestohlene Momente. Es schien ihr, als könnte Grischenka hinter einer Marmorsäule auftauchen, die toten Augen halb geschlossen, die Haare noch feucht, da er sie gerade unter die Pumpe gehalten hatte.
    Â 
    Le Noirauds Schönheit verblüfft sie jedes Mal, wenn ihr Blick auf ihn fällt, von neuem. Hier in den Fluren des Taurischen Palasts oder auf den vergoldeten Sofas ihrer inneren Gemächer, wo er gern müßig verweilt, in schimmernden Samt gekleidet, nach Moschus und Sandelholz duftend, die Füße tief in einen weichen Teppich vergraben, die verschatteten Augen auf die alten Gemälde ferner Landschaften gerichtet.
    Jetzt hat Le Noiraud Sotow und Anjetschka, die einige Schritte hinter ihnen her trotten, beiseitegedrängt und schiebt ihren Rollsessel durch die Hauptgalerie, während er sie mit Beschreibungen der Schweden unterhält. Der Regent, sagt er, tripple beim Gehen stets, als versuchte er, über einen frisch gescheuerten Fußboden zu laufen, ohne sich die Schuhe nass zu machen. Der Oberstallmeister und die Pferdeknechte seien dabei gesehen worden, wie sie sich an einem Fenster sonnten wie die Fliegen im Herbst.
    Auch der König taucht in diesem Monolog auf: Gustav Adolf missbilligt Leichtlebigkeit. Gustav Adolf zieht ernste Diskussionen galantem Geplauder vor. Ein Lob, das – sie kennt ihren
Liebhaber zu gut, um sich dessen nicht bewusst zu sein – rasch in Spott umkippen kann.
    Â»Wie ernst?«, fragt sie.
    Â»Ach, Sie wissen doch«, erwidert Le Noiraud. »Die Natur des Menschen. Die Grenzen des Verstandes.«
    Â»Das ist in der Tat ernst«, sagt sie.
    Es ist Platon hoch anzurechnen, dass er Grischenka noch kein Mal erwähnt hat. »Es gibt keinen Grund, auf die Toten eifersüchtig zu sein«, hat sie mehr als einmal zu ihm gesagt, aber Le Noiraud kann nicht aus seiner Haut. Seine Klagen über den Taurischen Palast sind als Sorge getarnt. Er mag ihn nicht, weil seine eigenen Gemächer hier zu weit von ihren entfernt sind. Der Kanal riecht faulig. Anders als die frei fließende Newa ist er mit Unrat verstopft. Platon spricht vom Pesthauch, von ekelhaften Dämpfen und gereizter Lunge.
    Im Palast wimmelt es von schlecht gelauntem, hin und her hetzendem Dienstpersonal. Lakaien hängen den letzten Kristalllüster auf. Kammermädchen polieren die Türgriffe und sind auf der Jagd nach Schmierflecken auf den Glasscheiben. Tische werden mit weißen Tafeltüchern gedeckt und mit Blumengirlanden und Bändern dekoriert. Aus dem Garten dringen die Klänge eines Orchesters, das einen Kontratanz übt.
    Die Dienstboten verbeugen sich, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, als sie mit ihrer kleinen Entourage vorbeizieht. Am anderen Ende des großen Saals schilt ihre alte Haushofmeisterin, Madame Boljanska, ein Kammermädchen; ihre keifende Stimme ist deutlich aus dem allgemeinen Lärm herauszuhören.
    Bolik ist immer noch verschwunden. Am Morgen fragte Alexandrine Miss Williams, ob Gott sie

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