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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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mit diesem Verlust auf die Probe stelle. Dann wollte sie wissen, wie man gleichzeitig glücklich und unglücklich sein könne.
    Der Rollsessel ist eine ständige Mahnung an ihre Niederlage. Selbst in diesem Palast, in dem es keine hinderlichen Treppen gibt, schafft Katharina es zu Fuß nicht weiter als durch ein
Zimmer. Quälende Erinnerungen an Kaiserin Elisabeth Petrowna tauchen auf: wie sie schon nach wenigen Schritten keuchte, die runzligen Wangen hochrot, die Füße geschwollen, wie ihr Fleisch aus den Pantoffeln quoll. Was hätte Elisabeth wohl gesagt, wenn sie sie jetzt so sähe? »Das Schicksal ist hinter dir her wie ein Bluthund, Katharina.« Dazu ein spöttisches Lächeln auf den Lippen und ein abschätzender, unwirscher Blick zu Platon. »Immer noch die alten Handschuhe, bis wir an neue kommen?«
    In den vergangenen Jahren hat Katharina einige Änderungen am Palast vorgenommen, hat ein Theater und eine Kapelle angebaut, doch das meiste – der Gemäldesaal, der Tapisserienraum, das chinesische Zimmer – ist noch so, wie Grischenka es hinterlassen hat. Auch ihre alten Schlafzimmer hat sie nicht angerührt. Beide haben schmale Betten, schlichte Tapeten und rechteckige Tische aus Birkenholz, aber es gibt auch Unterschiede. In ihrem, dem größeren der zwei Zimmer, lustwandeln Ziegen und Hirten an der Decke, und es hat einen Vorraum, den sie als Besprechungszimmer nutzt. Seines ist eine Mönchszelle: An der Wand hängt ein riesiges Kreuz, ein fadenscheiniger Teppich liegt auf dem Boden. Bis jetzt hat Platon noch nicht darum gebeten, dort zu schlafen. Das würde sie ohnehin niemals erlauben, doch solcherlei Dinge lässt man besser ungesagt.
    In ihrem Schlafzimmer hängt immer noch der schwache Geruch nach verbranntem Essig von einer Ausräucherungsaktion, obwohl Anjetschka ihr versichert hat, anschließend sei mehrere Stunden gelüftet worden. Den Rollsessel lässt sie vor der Tür stehen. Sie hat nur ein Bücherregal und einen richtigen, stabilen Schreibtisch in den kleinen Raum stellen lassen.
    Le Noiraud wirft einen neugierigen Blick auf das Bücherregal, fährt mit dem Finger über die schmalen Bände, die sie aus ihrer Bibliothek hierher gebracht hat. Keine mörderische französische Aufwiegelungslektüre, die sich als Philosophie tar
ne, erklärt sie ihrem Liebhaber. »Dies hier liebe ich besonders«, sagt sie und zeigt auf das vierbändige Werk Über die Einsamkeit . Der Autor, Johann Georg Zimmermann, erklärt sie Le Noiraud, sei der Leibarzt des britischen Königs in Hannover gewesen. Sie erzählt ihm nicht, dass sie daran denkt, Rogerson durch einen Deutschen zu ersetzen.
    Â»Plädiert er denn für die Einsamkeit?«, fragt Le Noiraud und legt den Kopf schief wie ein neugieriger Vogel oder ein lebhaftes Hündchen. Er weiß sehr gut, dass sie einer Erläuterung nicht widerstehen kann. »Möchte er, dass wir Eremiten werden? Uns mit wilden Tieren verbünden?«
    Â»Oh nein«, sagt sie protestierend. »Er behauptet nur, dass der Verstand sich in der friedlichen Abgeschiedenheit der Einsamkeit erholen kann, dass der Geist dann neue Kraft sammelt.«
    Le Noiraud blinzelt und schüttelt ablehnend den Kopf. »Ich möchte nicht einsam sein«, murmelt er. »Ich möchte mit dir zusammen sein.«
    Sie lächelt.
    Â 
    Als sie allein ist, blickt sie durchs Fenster in den bleiernen Himmel. Regen ist nicht willkommen, denn er würde die Gäste davon abhalten, im Garten zu lustwandeln. Es wäre so viel günstiger, wenn die jungen Leute einen Vorwand für Spaziergänge im Mondschein hätten.
    Nun denn. Man kann nicht alles unter Kontrolle halten. Besser, man konzentriert sich auf das, was kontrollierbar ist.
    Auf ihrem Schreibtisch liegen die Pläne für den Abend. Die Abfolge der Tänze, die Sitzordnung am Haupttisch und bei den Kartenspielen. Le Noiraud wird neben ihr sitzen, zusammen mit Lew Naryschkin. Die beiden werden dafür sorgen, dass sie etwas zu lachen hat, während die jungen Leute tanzen. Draußen, während des Feuerwerks, wird es ein Sonnenrad geben und Sternschnuppen, damit sich jeder etwas wünschen
kann. Sie prüft kurz das Sortiment an Blumen, Wein und Kognak und die Wahl des Porzellans. Die Platten vom grünen Frosch-Service eignen sich am besten für bukolische Gedanken. Tassen mit Goldrand sehen immer gut in

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