Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
die mit zahnlosem Mund fragt: »Wer wird regieren, wenn ich zum Bett der Kaiserin komme?«
    Ein Reich braucht einen Erben. Ein Kind, das man geduldig darauf vorbereitet, eines Tages die Macht zu ergreifen.
    Die Frucht des kaiserlichen Paars. Die heilige Pflicht der Großherzogin.
    Warum also ist sie noch nicht schwanger?
    Â 
    Die ihr übel wollen, die schlecht über sie reden, lauern in dunklen Winkeln, in den Korridoren, beobachten sie durch venezianische Spiegel. Sie nennen sie eine taube Nuss, einen Baum, der keine Früchte trägt, eine Blüte, die nutzlos verwelkt und abfällt vom Zweig. Der Kaiserin, die sie nach Russland geholt hat, flüstern sie ins Ohr: Wieder ein Jahr ist vergangen. Was nutzt ein Baum, der unfruchtbar bleibt? Die Zeit verrinnt schneller, als wir denken. Was ist, wenn das, was wir für Zeichen göttlichen Segens hielten, sich als Blendwerk des Satans entpuppt?
    Eine Frau soll ihren Gemahl erfreuen, nicht ihre Nase in Bücher stecken. Oder auf einem Pferd reiten wie ein Mann. Oder zu viele Fragen stellen.
    Wenn sie lächelt, nennen die bösen Zungen sie leichtsinnig und oberflächlich, wenn sie ernst dreinblickt, schimpft man sie stolz und hochmütig.
    Sie ist einen Handel eingegangen und hat ihren Teil der Abmachungen nicht eingehalten. Was sie jetzt zu spüren bekommt, ist erst der Vorgeschmack der Strafe.
    Sie hat keine Freunde mehr am Hof. Alle, die es gewagt haben, ihr Freundlichkeiten zu erweisen, sind in Ungnade gefallen. Dem Fürsten Naryschkin hat man gesagt, die Großfürstin habe keine Zeit für leeres Geschwätz. Zofen, die ihr ein paar tröstliche Worte zuflüsterten, wurden entlassen. Auch Warwara Nikolajewna ist weg. Die Kaiserin hat sie verheiratet – sie erwartet bereits ein Kind. Jene Warwara, die einmal gesagt hat: »Der Hof ist ein gefährliches Pflaster. Das Leben ist ein Glücksspiel, und alle spielen mit gezinkten Karten.«
    Â 
    Â»Es gab genügend andere, aber ich habe mich für dich entschieden«, sagt die Kaiserin und drückt mit dem Finger auf Katharinas Bauch. Es soll wehtun, und das tut es auch. »Wo ist jetzt mein Thronerbe? Wie lang soll ich noch warten, Katharina?«
    Â 
    Sechs Jahre ist sie schon verheiratet und immer noch unberührt. Sie hält es geheim. Sie schämt sich. Es ist demütigend. An so einer Sache ist immer die Frau schuld, natürlich.
    Sie muss irgendetwas an sich haben, das ihn abstößt. Liegt es an ihrem Aussehen? Hat sie etwas gesagt oder getan, das ihn beleidigt hat? War sie überheblich? Vorlaut? Nicht anschmiegsam genug?
    Manchmal, wenn sie allein ist, schnüffelt sie an ihrem Körper. Liegt es an ihrem Geruch, dass Peter sie nicht begehrt? An ihren knochigen Hüften? Sind ihre Brüste zu klein, oder vielleicht zu groß? Ist ihre Haut nicht glatt genug, ihr Kinn zu ausgeprägt, sind ihre Zähne zu schlecht, ihre Lippen zu trocken?
    Die russischen Heiligen in der Kapelle sehen sie mit leeren Augen an. Wir haben Leid und Schmerzen schweigend erduldet, sagen sie. Das solltest du auch tun. So ist es in Russland.
    Â 
    Es ist Mai. Die Kaiserin und ihr Gefolge sind zu Gast in Gostiliza, dem Landgut von Graf Rasumowski in der Nähe von
Sankt Petersburg. Der Hausherr, gekleidet in einen bestickten gelben Kaftan, ein Medaillon mit dem Bildnis Elisabeths an der Brust, heißt den hohen Besuch mit Brot und Salz willkommen. Seine geschätzten Gäste, so verkündet er, sollen in seinem Haus keine anderen Pflichten haben als die, sich zu vergnügen.
    Auf der Fahrt zum Gut ihres Favoriten hat Elisabeth sich über den Mistgeruch beschwert, über die Pferde, die viel zu langsam waren, über ihr neues Kleid, das sie überall kniff und drückte. Dreimal ließ sie anhalten, um sich hinter einem Paravent, den die Diener aufstellen mussten, zu erleichtern. Beim letzten Mal entdeckte sie in einiger Entfernung Krähen, die über einem Maultierkadaver kreisten, und wies den Kutscher an, die Route zu ändern, was zur Folge hatte, dass die Reise fünf statt vier Stunden dauerte.
    Aber als dann die Kutsche vor dem Herrenhaus von Gostiliza vorfuhr, war Elisabeths ganzer Ärger plötzlich verflogen. Sie ist jetzt bester Stimmung. Was für eine Wohltat, dem Winterpalast für eine Weile zu entkommen und die gesunde Landluft zu atmen, sagt sie zum Grafen. Das Birkenwäldchen zu sehen, das frische Grün der Wiesen, den

Weitere Kostenlose Bücher