Die Zarin der Nacht
segnete und mit heiligem Ãl salbte. An das Hochzeitsmahl, wo es Nachbildungen ganzer Landschaftsszenen in Zucker gab: ein Zuckerschloss mit einem Zuckerpark, Zuckerbäume, die sich bogen unter der Last von Früchten. Sie denkt daran, wie die Kaiserin die mit Ringen geschmückte Hand auf ihren flachen Bauch legte
und ihr befahl, Russland einen Thronerben zu schenken. Einen gesunden, kräftigen Romanow, der eines Tages die Nachfolge seines Vaters antreten würde. Sie denkt an Maman, die ohne Abschied nach Zerbst abgereist ist und ihr seitdem nicht geschrieben hat. An Papa, der nicht zur Hochzeit eingeladen worden war.
Irgendwann, früher oder später, wird ihr Ehemann Peter, der künftige Zar, zu ihr kommen. Auch er hat keine Wahl.
Peter hat viele Gesichter. Seine Miene drückt Langeweile aus oder Gleichgültigkeit oder Gereiztheit. Oder hochkonzentrierte Aufmerksamkeit, aber nur, wenn es ihm gelungen ist, die Aufpasser zu überlisten und seine Zinnsoldaten ins Schlafzimmer zu schmuggeln. Dann kann sie dabei zusehen, wie er sie aufstellt, um längst geschlagene Schlachten nachzuspielen, Schlachten, die ihm ein Gefühl von Allmacht vermitteln. Dann kann sie ihm interessierte Fragen stellen, und Peter antwortet ihr. Erklärt ihr einen raffinierten Schachzug, ein kluges Ausweichmanöver, mit dem ein Feldherr seinerzeit einen preuÃischen Sieg errungen hat. Sie kann sich sogar nützlich machen. Etwa indem sie die Linie der Pikeniere ordnet, die mit ihren langen SpieÃen die feindliche Reiterei in Schach halten. Oder indem sie gefallene Helden aufklaubt.
Sie denkt daran, wie Peter vor ein paar Monaten beinahe an den Pocken starb. Wie verzweifelt sie war, weil alle, die sich zuvor als ihre Freunde ausgegeben hatten, sie mieden, da sie wussten, dass die Kaiserin Katharina nach Hause schicken würde, wenn Peter die Krankheit nicht überlebte. Dann würde sie jetzt vielleicht die Anträge irgendwelcher deutschen Krautjunker sichten, die als Heiratskandidaten noch in Frage kämen. Sie stellt sich vor, mit welchem Hohn Maman sie übergieÃen würde. Sophie war immer schon ein Pechvogel gewesen, würde sie sagen. Aber einer mit groÃen Rosinen im Kopf.
»Es wird alles gut, Sie werden sehen.« Warwara Nikolajewna weià immer das Richtige zu sagen, wenn Katharina der Ver
zweiflung nahe ist. »Manche Männer bekommen leicht Angst und können dann nicht. Sie müssen nur Geduld haben.«
Sie hat Geduld.
Die Schwellungen in Peters Gesicht sind fast ganz verschwunden. Die Rötung ist zurückgegangen oder wird mit Schminke abgedeckt. Im Ãbrigen, sagt sie zu ihm, ist es nicht schlimm, wenn ein Mann ein paar Pockennarben hat.
»Ich weië, antwortet er.
Er beobachtet sie argwöhnisch. Alles, was sie spricht, ärgert ihn. Er findet, sie ist klüger, als es gut für sie ist. Madame Neunmalklug, nennt er sie höhnisch, die für alle Probleme eine Lösung weiÃ, ob man sie hören möchte oder nicht. Auf den Korridoren des Palasts beschleunigt er seinen Schritt, um ihr nicht zu begegnen. Im gemeinsamen Ehebett drückt er sich ganz an den Rand. Wenn sie seine Hand berührt, zuckt er zurück.
»Aufstehen!«, schreit er. »Los, los!«
Sie springt aus dem Bett und steht vor ihm stramm. Er befiehlt ihr, seinen Degen zu nehmen. Er lässt sie durchs Zimmer marschieren und den Degen präsentieren, als wäre er eine Muskete. Sie muss die Beine im Stechschritt hochwerfen wie ein guter preuÃischer Soldat bei der Parade.
Er verbietet ihr zu sprechen. Den Kopf aufgestützt, sieht er vom Bett aus zu, wie sie marschiert.
»Warum bist so still?«, fragt er.
»Weil du es mir befohlen hast, Peter«, antwortet sie, und einen Moment lang hellt sich seine Miene befriedigt auf.
»Genug!«, schreit er. »Komm her.«
Sie legt den Degen weg und schlüpft zu ihm ins Bett. Es ist warm und duftet angenehm. Die Mädchen haben Jasmin- und Rosenblüten auf die Matratze gestreut. Warwara redet ihr gut zu. Sie soll den Mut nicht verlieren. Sie soll Geduld haben. Männer sind manchmal so. Schüchtern. Sie haben Angst davor, sich schwach zu zeigen. Das hat nichts zu bedeuten.
Sie ist geduldig.
Sie wartet schweigend, bis Peter lacht, ihr den Rücken zudreht und zu schnarchen anfängt.
*
In Russland ist der Tod eine alte Frau mit einer Sense. Still und unerbittlich, nicht zu überlisten. Eine Hexe,
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