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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Menge Milch in ihren Zitzen. Es sind die Stärksten, die überleben.
    Sie hält das nicht für grausam. Es ist Teil der Natur. Es dient einem Zweck. Sie hat schon früher darüber nachgedacht, und sie kennt die Fallstricke eilfertigen Erbarmens. Letztendlich ist es das Glück der größten Anzahl, das zählt.
    Die Zeit verlangsamt sich, wird schwer. Das Kind zu ihren Füßen schließt die Augen. Alexandrine, ihre süße Prinzessin, reglos, als wäre Warten ein Spiel und sie hätte schon ihr Versteck gefunden, fest entschlossen, sich nicht zu rühren. Wie wird sie an einem fremden Hof überleben? Wo sie doch noch nicht weiß, dass Unschuld den Naturgesetzen widerspricht. Nach Unterwerfung klingt. Nach Schwäche. Der Segen, den sie, ihre Großmutter, vorbereitet hat, ist kurz, aber elegant. Mögest du den Tugenden, die wir dich gelehrt haben, stets treu bleiben.
Denn du bist unser geliebtes Kind, der Sonnenstrahl in diesem Hause, unsere Freude und unsere Hoffnung.
    Der schwedische König ist immer noch nicht da. Auch Le Noiraud nicht. Wie lange dauert es bloß, ein paar Unterschriften aufs Papier zu kritzeln?
    Sobald die Zeremonie erst einmal begonnen hat, wird sie lang und ermüdend sein. Zwei Stunden, wenn sie die unerlässlichen Trinksprüche, Reden und Gratulationen dazurechnet. Ihr Mieder ist trotz der Bemühungen ihrer Näherin immer noch zu eng. Es schneidet ihr in den Körper. Sie wird rote Striemen haben, wenn sie es endlich auszieht. Vom Gewicht des Zepters sinkt ihr Ellbogen auf die Armlehne des Throns. Und sie kann die Stelle spüren, wo der Coiffeur mit der Brennschere ihre Kopfhaut berührt hat.
    Alexandrine und Alexander wechseln Blicke. Alexandrine schickt ihrem Bruder ein scheues Lächeln. Ihre erste Enkelin heiratet. Drei folgen noch. Gott sei Dank ist Nikolaus ein Junge.
    Wie Besborodko ihr erzählte, hat Adam seinem Vater einen Brief geschickt, in dem er dem alten Fürsten Czartoryski die volle Handlungsvollmacht für das Familienvermögen erteilt, das er bis zu seinem Tod nach seinem Gutdünken verwalten kann.
    Die Türen sollten jetzt jeden Moment aufgehen.
    Um das öde Warten zu verkürzen, amüsiert Lew Naryschkin alle mit seinen Possen.
    Â»Wenn ich eine Prinzessin wäre, die bald nach Schweden reist, würde ich eine Fuchsstola, einen Bärenpelz, einen Fellmantel, eine Schnupftabaksdose, einen Eimer Wasser, eine Katze und eine Fisch mitnehmen.«
    Sogar Alexandrine kichert.
    Â»Wieso einen Fisch?«
    Â»Um etwas im Eimer zu haben.«
    Â»Aber wieso einen Fisch im Eimer?«
    Â»Um ihn aus dem Wasser zu holen und wieder hineinzutun.«
    Â»Aber wieso?«
    Â»Damit ich nicht vergesse, wofür Wasser da ist.«
    Alexander rutscht auf seinem Stuhl herum, als versuchte er, jemanden zu erspähen. Dolgoruka mit ihren wilden Tatarenaugen? Oder Golowins dickbusige Tochter? Seine Frau sieht er in letzter Zeit nicht besonders häufig an. Dagegen gibt es Mittel, aber die sollte man ihm nicht zu früh nennen. Monsieur Alexander wird seine eigenen Entdeckungen machen, wird lernen, was die Anstrengung einer Veränderung lohnt und was sich aushalten lässt. Anjetschka hat recht. Elisabeth sollte Alexander bald einen Sohn schenken. Sie würde nicht so an ihrem Ehemann kleben, wenn sie ein Baby hätte, um das sie sich kümmern kann.
    Â»Wieso brauchen sie so lange?«, fragt Paul und schnaubt wie eine Sau.
    Â»Hast du es derart eilig?«, entgegnet sie spitz, bedauert aber die Schärfe ihrer Worte sogleich wieder, denn Alexandrine zieht die Schultern hoch, als müsse sie sich vor einem Schlag schützen.
    Â»Stimmt etwas nicht, Grandmaman?«, fragt das Kind.
    Â 
    Sie hört es schon am zunehmenden Flüstern, den plötzlichen Pausen in den Unterhaltungen, sieht es an den Augen, die zur geschlossenen Tür blicken, als wollten sie sie zwingen, sich zu öffnen.
    Sie geht im Geiste die verschiedenen Möglichkeiten durch. Da Le Noiraud weiß, dass sie ihm zürnt, versucht er, sich herauszuwinden, sich einen unmöglichen und jetzt überflüssigen Sieg zu verschaffen. Lass Gustav Adolf einfach die Absichtserklärung unterzeichnen! Vergiss für einen Moment deine Ambitionen. Dafür hast du später noch genügend Zeit!
    Ihre Augen streifen kurz ihren Minister, der Fürstin Dolgoruka ans Fenster geleitet, wo die Menge inzwischen kleiner ist und sie ihren

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