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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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warten müssen.
    Â 
    Als sich um zehn Uhr der Pfau wieder dreht und seinen silbernen Schwanz zeigt, schleichen sich ausländische Gesandte aus dem Sankt-Georg-Saal, um ihre verschlüsselten Nachrichten von Russlands Demütigung in die Nacht hinauszuschicken. Der König von Schweden hat die neunundvierzig Jahre ältere Kaiserin des russischen Reichs drei Stunden lang warten lassen. Was wird das für Karikaturen geben! Der schwedische König, der der alten verschrumpelten Hexe seinen nackten Hintern hinstreckt? David, der Goliath besiegt?
    Eine Woge des Zorns überkommt Katharina. Dieser Schwächling, dieser kümmerliche, großmäulige Schnösel. Dieser kleine König, dieser Bastard.
    Im Thronsaal herrscht Schweigen, schweres, schwarzes, erstickendes Schweigen. Alexander blickt sie besorgt an, aber auch er fleht, sie möge richtigstellen, was falsch gelaufen ist. Sotow, der gute alte Sotow, immer zur Stelle mit den Tröstun
gen eines perfekten Kammerdieners, reicht ihr ein Glas Wasser. Sie trinkt, einen kühlen Schluck nach dem anderen, bis das Glas leer ist.
    In Alexandrines Augen steht blankes Entsetzen. Die panische Angst eines Kindes, das endgültig lernt, dass etwas, das kaputtgegangen ist, nicht mehr repariert werden kann.
    Das stimmt nicht ganz, Alexandrine, möchte sie sagen. Eine Niederlage vernichtet dich nur, wenn du es zulässt. Vor dir liegt noch ein ganzes Leben. Sei froh, dass du noch einmal davongekommen bist. Du wirst wieder lachen. Wenn auch nur ein Tropfen meines Bluts in deinen Adern fließt, wirst du lachen.
    Es gelingt ihr, ein unbewegtes Gesicht aufzusetzen, starr blickt sie auf den Kronleuchter, in dessen Kristall sich die flackernden Flammen spiegeln. »Brechen Sie die Verhandlungen ab«, befiehlt sie Morkow. »Sagen Sie unseren schwedischen Gästen, die Kaiserin sei indisponiert.«
    Es ist an Paul – offiziell immer noch ihr Erbe –, aufzustehen und sich vor dem Erzbischof und den Gästen zu entschuldigen.
    Â»Infolge unvorhergesehener Komplikationen … aufgeschoben …«, hört sie, allerdings scheinen Pauls Worte aus weiter Ferne zu kommen, als wäre sie selbst nur eine heimliche Lauscherin. Sie bemerkt, wie Prinz Adam etwas in Elisabeths Ohr flüstert. Alexanders Frau sieht aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.
    Sobald Paul aufhört zu sprechen, erhebt Katharina sich vom Thron. Sie fühlt sich schwer und uralt, als wäre sie wie ein riesiger Felsblock in die Erde gesunken, unfähig, sich zu rühren. Alexander hat ihr seinen Arm geboten, und sie stützt sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihren Enkel. Ihr Atem geht flach. Nur mit großer Mühe schleppt sie ihre geschwollenen Füße vorwärts, einen nach dem anderen.
    Hinter sich hört sie ein Keuchen, wie der Schrei eines ver
wundeten Vogels, und eiliges Gerenne auf hochhackigen Schuhen. Das Kind ist in Ohnmacht gefallen und wird durch eine Seitentür fortgebracht. Ihr Vater trägt sie; ihre Mutter folgt und wedelt mit den Armen wie ein flatterndes Huhn. »Vorsicht! Achtung! Da kommt die Tür!«
    Die Menge weicht zurück, um der kaiserlichen Familie Platz zu machen. Die Gesichter der Höflinge drücken Ernst und Verwirrung aus. Ratlos grübeln sie über die möglichen Folgen dieser Demütigung. Bis sie, ihre Kaiserin, ihre Matuschka , ihnen schließlich wieder zu ihrem Stolz verholfen haben wird.
    Nicht jetzt.
    Später. In wenigen Augenblicken. Morgen.
    Das tun verwundete Tiere. Sie ziehen sich ins Dickicht zurück und lecken ihre Wunden, um den Schaden zu bemessen.
    Fürs Erste müssen ein paar beruhigende Worte an Alexander genügen.
    Der Schmerz in ihrem Kopf kommt wie ein Schlag. Ihr Kiefer erstarrt. Worte, die sie hat sagen wollen, sterben in ihrer Kehle. Besborodko hat Morkow beiseite geschoben. Er sagt etwas, aber seine Worte werden zu Staub, ehe sie ihre Ohren erreichen. Das macht nichts. Sie hat keine Lust, das Geschehene zu diskutieren. Noch nicht. Auch nach Tröstungen steht ihr nicht der Sinn.
    Â»Grandmaman, geht es dir gut?«
    Sie sieht das Entsetzen in den Augen ihres Enkels. Sie spürt, dass seine Hand die ihre hält. Etwas in ihr kommt ins Rutschen. Es ist, als fiele ein weicher Klumpen Ruß durch einen Schornstein.
    Â»Hilf mir hier raus, Alexander«, sagt sie.
    Rechts auf Alexander gestützt und links auf Sotow, bewegt sie sich langsam aus dem

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