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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Stock haben die Hofdamen der Großfürstin ihr Quartier.
    Der erste Tag ist ein einziges großes Festmahl. Die Leute des Grafen, gekleidet in lange weiße Kittel mit besticktem Kragen,
geleiten die Gäste zu Büfetts im Garten, auf den Korridoren des Herrenhauses und im Speisesaal. »Einfache russische Kost«, sagt der Hausherr bescheiden. Lange Tische mit blütenweißen Tischtüchern sind mit Kränzen und Girlanden aus Frühlingsblumen geschmückt. Auf silbernen Platten sind blini aufgetürmt, geräucherter Fisch, gebratene Fasanen, saftig glänzende Schinken. Es gibt auch ganze Spanferkel, Kiefernzapfen im Maul, die Schwarte in Rautenmuster eingeschnitten und knusprig geröstet. Auf Desserttischen stehen neben Kuchen und Torten Schalen mit kandierten Früchten mit Schokoladenglasur. Geiger spielen ländliche Weisen. Bauernmädchen in mit Stickereien verzierten Blusen und Röcken, Ketten aus bunten Holzperlen um den Hals, singen ein melancholisches Lied von Snegurotschka, dem Schneemädchen, das einsam ist und kalt, bis es sich verliebt. Aber als ihr Herz sich erwärmt, schmilzt sie.
    Peter, der in Anwesenheit der Kaiserin nicht rauchen darf, saugt an seiner leeren Tonpfeife. Wie immer, wenn sie in Gesellschaft sind, beachtet er seine Frau kaum. Ständig sieht er zu den Bauernmädchen hinüber. Manchmal unternimmt er einen Vorstoß und zupft die eine oder andere neckisch am Zopf oder am Rock wie ein Schuljunge.
    Wenn Katharina mit ihm allein ist – und das ist sie meistens, weil die Kaiserin es so will – und Peter sich langweilt, gelingt es ihr manchmal, eine Unterhaltung mit ihm in Gang zu bringen. Als Thema eignen sich am besten seine Erinnerungen an Holstein. Er erzählt dann oft phantastische Geschichten aus seiner Kindheit. Mit sieben hat der heldenhafte Peter eine Räuberbande, die das Land unsicher machte, besiegt, er hat ein kleines Mädchen, das von Zigeunern verschleppt worden war, seinen Peinigern entrissen und zu seiner weinenden Mutter zurückgebracht. In vielen dieser Geschichten erweist sich Monsieur Brümmer, sein Erzieher, als sein eigentlicher Widersacher: »Brümmer wollte mich davon abhalten, sie anzugreifen, aber ich befahl ihm, die Klappe zu halten.«
    Katharina glaubt immer noch an die Macht der Geduld. Daran, dass sie seine Abneigung überwinden kann.
    Sie ist noch jung.
    Sie hört seinen Phantastereien schweigend zu und nickt immer wieder ermutigend. Wenn er fertig ist, stellt sie ihm Fragen. »Was hat Brümmer gesagt, als er sah, wie du deine Muskete gehoben hast, um zu schießen?« ist die beste von allen, denn sie gibt ihm Gelegenheit, in allen Einzelheiten zu schildern, wie sein Erzieher hinterher völlig am Boden zerstört kniefällig Abbitte leistete, ganz zerknirscht, weil er an Peter gezweifelt hatte. Peters Stimme wird ganz schrill vor Erregung. Er fuchtelt mit den Händen und hopst unruhig in seinem Sessel auf und ab, als ob ihn seine Blase drückte. Er genießt es, von seinen erfundenen Heldentaten zu berichten, aber es gelingt ihm einfach nicht, sich auf eine einzige Version der Geschehnisse festzulegen. Mal rückt er an der Spitze eines Regiments Holsteiner gegen die Zigeuner vor, mal wird er nur von einigen Stallburschen begleitet, die mit Peitschen bewaffnet sind. Die einzige Konstante in der Erzählung ist die Szene, in der Brümmer reumütig eingesteht, dass er Peters Fähigkeiten verkannt hat, und ihn demütig um Verzeihung bittet.
    Das Fest bei Rasumowski dauert die ganze Nacht. Als die Tanzmusik verstummt, singt man am offenen Feuer. Als die Kehlen heiser sind, wird gespielt: Blinde Kuh, Katz und Maus, Räuber und Kosaken. Zungenbrecher-Aufsagen gefällt Elisabeth am besten. Katharina sorgt für allgemeine Heiterkeit, als sie an der Reihe ist. Sie verheddert sich heillos in dem Satz: Stoit pop na kopne, kolpak na pope, kopna pod popom, pop pod kolpakom.
    Es ist ein Zungenbrecher, den Elisabeth bravourös aufsagen kann.
    Um sechs Uhr morgens, als die Kaiserin endlich genug hat, gehen sie in ihr Quartier. Die Zofe zieht die Bettvorhänge zu, damit das Tageslicht die hohen Herrschaften nicht stört. Sie
sind beide erschöpft vom Tanzen und von den Spielen. Ihre Augen brennen von dem Rauch des Feuers. Sie schlafen sofort ein.
    Katharina wacht auf, als der großfürstliche Oberhofmeister Tschoglokow, Aufpasser und Spion im Dienst der

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