Die Zarin der Nacht
Kaiserin, die Vorhänge aufreiÃt. Er ist nur halb angezogen, im Ausschnitt seines Hemds sieht man seine grau behaarte Brust.
»Sie müssen raus hier, sofort!«, schreit er.
Sie hat keine Zeit zu fragen, warum. Aus dem Kamin ist ein Krachen und Knacken zu hören. Ein Riss läuft durch die Mauer. Es poltert, Glas zerbirst. DrauÃen bellen Hunde. Ein Stück Putz fällt von der Decke. Ein Deckenbalken biegt sich durch, Holzsplitter regnen herab.
Peter schnaubt erschrocken und springt aus dem Bett.
Er sieht sich nicht nach seiner Frau um.
Die Bodendielen schwanken. Katharina fühlt sich wie auf einem Schiff im Sturm. Peter hastet hinaus, schlägt sich den Zeh an der Türschwelle an. Sie sieht seine gekrümmte Gestalt davonhinken.
Eine Fensterscheibe zerspringt. Der Boden ist mit Scherben übersät. Immer mehr Putz fällt von der Decke. Ihre Hände fühlen sich an wie Eis. »Das ist das Ende«, denkt sie, bevor sie Wachsoldaten rufen hört: »Wo ist die GroÃfürstin? Hat jemand die GroÃfürstin gesehen?«
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Die Tür fliegt auf. Der Soldat, der in ihr Schlafzimmer stürmt, trägt die grüne Uniform des Preobraschenski-Regiments, die ihr immer schon besonders gut gefallen hat. Der Mann ist groà und kräftig gebaut und hat dichtes schwarzes Haar. Seine Arme sind kräftig, er hebt sie hoch wie eine Feder.
Sie weià nicht, wie er heiÃt. Er ist einer der vielen Gardesoldaten, die auf den Korridoren des Palasts Posten stehen. Stramm, den Blick ins Leere gerichtet, als bekämen sie gar nicht mit, was um sie herum vorgeht. Wenn sie ihn schon einmal ge
sehen hat, so nur im Vorbeigehen â jedenfalls haben seine Züge keine Spur in ihrem Gedächtnis hinterlassen. Erst jetzt, da er sie in seinen starken Armen hält, fällt ihr sein männlich schönes Gesicht auf. Der dunkle Teint, der Schatten auf seiner Wange.
Und sie sieht noch etwas.
In dem Gesicht des Mannes, der sie aus dem in sich zusammenfallenden Zimmer trägt, ist keine Ungeduld, kein Ãrger, keine Gereiztheit zu entdecken. Seine Augen, die sie ansehen, sind sanft, und sie funkeln. Sie strahlen so vor Entzücken und Begehren, dass sie eine Gänsehaut bekommt und ein lustvoller Schauder durch ihren Körper fährt. Die Angst, die wie ein Klumpen in ihrer Kehle sitzt, löst sich auf, das Eis in ihr schmilzt.
Es amüsiert sie, zu sehen, wie er sich um soldatischen Ernst bemüht. Er wird sie in Sicherheit bringen, versichert er. Kein Haar wird ihr gekrümmt werden, dafür wird er sorgen, denn das ist seine Pflicht. Er wird für die GroÃfürstin sein Leben opfern, wenn es nötig ist. Er wird sie schützen, damit ihr kein Leid geschieht.
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Später wird man viele Geschichten von den Ereignissen dieses Tages erzählen. Wie die GroÃfürstin aus einem zusammenstürzenden Haus gerettet wurde. Wie Peter, ihr Ehemann, auf einem roten Sofa hingestreckt, eingewickelt in eine Pelzdecke, immer wieder fragte, wie eitel oder wie dumm eine Frau sein muss, die derart lang herumtrödelt, statt sich in Sicherheit zu bringen. Wollte sie sich erst schön machen, bevor sie unter die Leute ging? Wie Graf Rasumowski mit Selbstmord drohte, als er hörte, dass seine eigenen Leute einen Stützbalken entfernt hatten. Wie die Kaiserin aus Sorge um ihren Favoriten behauptete, Katharina sei zu keiner Zeit irgendeiner wirklichen Gefahr ausgesetzt gewesen.
Aber sie, die GroÃfürstin, wird nie vergessen, wie sich die Hand des Soldaten an ihrer Hüfte anfühlte, und sie wird sich
an den Geruch von Schnupftabak erinnern. Daran, wie dieser Mann sie, ihre Arme um seinen Hals geschlungen, ins Freie trug. An seine Stimme, als er voller Zorn sagte: »Wie kann man nur im Winter ein Haus bauen, auf gefrorenen Grund! Im Frühjahr, wenn der Boden auftaut, verschieben sich die Fundamente!«
Seine Augen, die ihr so schwer zu schaffen machen, sehen sie unverwandt an, und er fügt hinzu: »Das weià doch jedes Kind.«
*
Ãberall sind Fallen für sie aufgestellt. Viele Augen und Ohren belauern sie. Viele Zungen geben alles weiter, was sie spricht.
Aber sie ist nicht mehr allein. Es gibt auch Augen und Ohren und Zungen, die für sie arbeiten, Spione, die sich in fremde Zimmer schleichen. Die erzählen, was sie in staubigen Korridoren, versteckt in Verschlägen, in Dienstbotenkammern, in der kaiserlichen Kleiderkammer
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