Die Zarin der Nacht
vereint werden in einem gemeinsamen Willen. Einen einzelnen Zweig kann man leicht brechen, doch ein festes Bündel von Zweigen hält auch groÃem Druck stand. Und wo Menschen hart arbeiten, wird endlich Wohlstand einkehren.
Bald wird die Welt von dem christlichen Reich des Ostens Notiz nehmen.
Das wird ihr Vermächtnis sein.
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Jemand reicht ihr ein Glas Wasser, gemischt mit etwas Rotwein. Sie trinkt in groÃen Schlucken â ihre Kehle ist trocken und heiser vom lauten Sprechen.
»Sie sind immer meine Kaiserin gewesen.« Katja Daschkowa ringt nach Luft. »Schon immer.«
Paul, ihr Erstgeborener, starrt sie an und blinzelt nervös. Als er ankam, murmelte er hochkonzentriert etwas vor sich hin. Es war, wie sich herausstellte, das Gedicht, das er bei der Feier zum Namenstag seines Vaters aufsagen wollte. »Ich will keinen Fehler machen«, erklärte er, als sie ihm sagte, er könne aufhören zu üben.
Man hat ihn in aller Eile hergeschafft. Sein Jackett ist voller Puder von der Perücke. Eine Warze auf seiner Stupsnase ist schlampig mit Schminke abgedeckt. Jemand sollte sich anständig um solche Dinge kümmern. Wo ist Warwara abgeblieben?
Grigori und Alexej sind überall. Sie eilen durch die Säle und dirigieren den Menschenstrom, der sich durch den Palast wälzt. Höflinge, die sich sehen lassen, die der neuen Kaiserin ihre Treue bekunden wollen. Bittsteller, die auf eine Gelegenheit warten, ihr irgendwelche kleinkarierten Anliegen vorzutragen. Einige Leute weinen. Andere stehen in Gruppen zusammen und tuscheln miteinander. Eine piepsende Stimme hinten im Saal verkündet triumphierend, dass die Gerechtigkeit gesiegt habe.
Alexej Orlow hat Neuigkeiten von Peter. Der abgesetzte Kaiser, der sich für einen groÃen Feldherrn hält, schickt einen Kundschafter nach dem anderen nach Sankt Petersburg und ist jedes Mal von neuem überrascht, wenn er merkt, dass sie nicht zu ihm zurückkehren. Von ihnen hat Alexej die Geschichten, die er wiedergibt. Sie berichten von einer Katastrophe in Raten. Peter, erzürnt, weil seine Frau nicht da ist, sucht sie unter ihrem Bett in Monplaisir â gerade so, als hätte sie nichts Besseres zu tun, als mit ihm Verstecken zu spielen. Er fuchtelt mit den Händen wie ein Seehund auf einer Eisscholle. Das Fräulein beschwört ihn, seine Holsteiner zu alarmieren und in die Stadt zu marschieren. »Katharina ist eine Thronräuberin! Du
bist der Zar! Du bist ein echter Romanow! Du brauchst dich nur dem Volk zu zeigen, und alle werden von ihr abfallen!« Peter, in Angstschweià gebadet, stottert: »J⦠j⦠j⦠ja!«
Thronräuberin ⦠ein echter Romanow. Alexej verzieht voller Verachtung den Mund. Seine gelben Zähne glitzern. Die weiÃe gezackte Narbe auf seiner Wange erinnert an einen Kampf, dem er sich furchtlos gestellt hat. Es ist nicht nötig, die Gefahren alle zu benennen. Mag Peter auch ein Feigling sein, so können doch andere unter Berufung auf ihn einen Aufstand anzetteln. Die neue Kaiserin ist noch nicht in Sicherheit.
»Kommen Sie, Matuschka , Sie müssen sich zeigen«, sagt Alexej. »Die Leute glauben, diese Missgeburt habe Sie gefangen genommen und in Ketten an die PreuÃen verkauft. Treten Sie auf den Balkon. Zerstreuen Sie die Ãngste des Volks.«
Alle wollen sie berühren. Jemand greift nach ihrer Hand und bedeckt sie mit Küssen. Wie viele Küsse sollte sie zulassen, bevor sie die Hand wegzieht? Zwei? Drei? Unter all den unbekannten Gesichtern um sie herum, die ununterscheidbar miteinander verschmelzen, stechen die ihrer Freunde und Anhänger hervor. Sie haben sich fein gemacht und strahlen vor Glück und Erwartung. Sie sind alle ihre Geschöpfe, aber untereinander sind sie nicht durch Freundschaft verbunden. Ihre Augen hängen an ihr, jeder wartet auf ein Zeichen, das ihm bestätigt, wie wichtig er ist. Aber wie könnte sie je die von keinem klaren Gedanken gestörte Begeisterung einer Katja Daschkowa ernst nehmen? Wie könnte sie je dieser aufdringlichen Buchbinderstochter Warwara vertrauen, die ständig ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckt? Oder wie könnte sie gar auch nur einen schwachen Moment lang in Erwägung ziehen, als Madame Orlow Russland zu regieren?
»Kommen Sie, Matuschka . Zeigen Sie sich. Das Volk soll sehen, dass Sie und der Zarewitsch in Sicherheit sind.«
Alexej Orlow steht
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