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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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neben ihr. Leise verflucht er sich selbst dafür, dass er all diese Nichtsnutze in den Palast gelassen hat.
»Jetzt sind sie alle da und machen sich wichtig«, murmelt er grollend. »Wo waren sie, als wir sie gebraucht haben?«
    Paul starrt auf seine Schuhspitzen. »Ist es wahr, dass Leutnant Orlow vor niemandem Angst hat?«, hat er Warwara einmal gefragt. »Nicht einmal vor dem Teufel?«
    Â»Nehmen Sie Ihren Sohn bei der Hand, Matuschka «, sagt Alexej. »Kommen Sie.«
    Die kleine schmale Hand in der ihren fühlt sich steif an. Sie spürt die dünnen Knöchelchen der starren Finger. Paul geht mit sonderbar verkniffenen Schrittchen. Bei jeder seiner Bewegungen weht ihr ein Geruch von Urin in die Nase. Ihr Sohn und Erbe hat in die Hose gepinkelt.
    Draußen brandet immer wieder Geschrei auf. Es ist noch nichts endgültig entschieden. Peters Holsteiner in Oranienbaum sind marschbereit. Er war sechs Monate lang Zar. Außerhalb von Sankt Petersburg ist er immer noch Batuschka, der gütige Vater seines Volks. Auch wenn er selbst nicht Manns genug ist, um seinen Thron zu kämpfen, können doch andere diesen Kampf aufnehmen. Die Schuwalows werden nicht so leicht aufgeben.
    Sie hat keine Zeit, alles in Ruhe durchzudenken. Jetzt, in diesen hektischen ersten Stunden ihrer Regierung, passiert alles auf einmal.
    Sie tritt hinaus auf den Balkon. Die Menschen unten auf dem Platz drängeln einander, um besser sehen zu können. Soldaten, Wachposten, Popen, Bettler. Freude, Ungeduld und Bangigkeit sind zu spüren, eine berauschende Mischung von Gefühlen. Ein junger Mann ist auf einen Laternenpfahl geklettert und schwenkt seinen Hut. Frauen mit Kopftüchern haben Ikonen und Blumensträuße dabei. Kinder recken die Hälse. Ein alter Mann kniet auf dem Pflaster und bekreuzigt sich.
    Sie hebt die Hand.
    Alle blicken wie gebannt auf ihre neue Kaiserin in der grünen Preobraschenski-Uniform. Ihr Erscheinen beweist, dass
ihre Feinde nichts gegen sie vermögen, dass alles gut ist. Russland ist in Sicherheit.
    Werden sie ihr glauben?
    Einen Moment lang wird es still, und dann hört sie jemanden schreien, und die Menge greift den Ruf auf und wiederholt ihn, bis er tosend den ganzen Platz erfüllt: Lang lebe Kaiserin Katharina Alexejewna! Lang lebe der Zarewitsch Paul Petrowitsch!
    Sie sieht das Gesicht ihres Sohnes nicht, aber sie fühlt, wie sich sein Körper strafft. Sie hält immer noch seine klamme, schweißige linke Hand und hebt sie zusammen mit ihrer hoch, was eine neuen Ausbruch von Freude auslöst.
    So hat sie es in Erinnerung. Hand in Hand stehen Mutter und Sohn da, während das russische Volk ihnen zujubelt. Und dann hört sie die piepsende Stimme ihre Sohnes fragen: »Bin ich jetzt Kaiser?«
    *
    Â»Es gibt keinen Kaiser«, erklären die Garden. »Wir gehorchen den Befehlen der Kaiserin Katharina II .«
    Â 
    Peter ist mein Gefangener.
    Peter hat abgedankt.
    Peter hat mir den Treueid geleistet.
    Peter will nichts weiter als seine Flöte, seine Mätresse und seinen Mohren.
    Â 
    Peter will fern vom Hof ein ruhiges Leben führen. »Lass mich nach Holstein zurückkehren«, sagt er. »Das wollte ich schon immer.«
    Erbarmen kann viele Formen annehmen.
    Â»Du würdest es bitter bereuen, Katinka«, faucht Grigori Orlow. »Ein tollwütiger Hund beißt die Hand, die ihn füttert.«
    Â 
    Hör auf die, die ihr Leben für dich aufs Spiel gesetzt haben!
    Die Holsteiner stehen auf seiner Seite. Preußen wird ihn gegen dich benutzen.
    Es gibt bereits einen verrückten Zaren in Schlüsselburg. Noch einen kannst du dir nicht leisten!
    Â 
    Nach den Regeln der Erbfolge haben andere mehr Recht auf den russischen Thron als eine Prinzessin von Anhalt-Zerbst. In Peters Adern fließt das Blut der Romanows, in denen Katharinas nicht. So reden die Leute in Moskau. Warum sollte wieder eine Frau das Reich regieren?
    Peter ist ein Mann.
    Peter riecht nach Tabak und saurem Wein. Seine Fingernägel haben schwarze Schmutzränder. Sein pockennarbiges Gesicht läuft rot an, wenn er sich aufregt oder Angst hat. Achtzehn Jahre lang hat er sie mit dem unsteten Blick eines Feiglings beobachtet.
    Â»Er hat dich vor dem ganzen Hof blamiert, Katinka. Man muss ihn unschädlich machen.«
    Ihr schwirrt der Kopf von all den Stimmen, die ihr zureden, sie drängen, sie warnen. Blitzendes Licht kündigt einen

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