Die Zarin der Nacht
Prahlerei noch ein Witz.
Sein Geist steht niemals still. Er entwirft groÃe Pläne. Er könnte Polen regieren oder die Armee nach Süden führen und das, was vom osmanischen Reich noch übrig ist, zermalmen. Er zeichnet neue Landkarten für sie, immer kühner zieht er die Grenzen.
»Ich will, dass du bei mir bleibst«, sagt sie. »Wir haben schon genug Zeit verschwendet.«
»Das war nicht meine Schuld«, erwidert er. »Das wirst du ja wohl zugeben, oder?«
»Ja, Grischenka. An dir hat es nicht gelegen.«
Wenn er nicht in Gedanken an Russlands goldener Zukunft baut, fragt er sie aus. Er will alles wissen: Verflossene Liebhaber, zerronnene Träume, aufgegebene Pläne, schwärende Wunden.
Er ist eifersüchtig auf jeden Mann, den sie je in ihr Bett gelassen hat. Er will ihre Spuren auslöschen, sie aus ihrem Gedächtnis tilgen.
Er will ihr Held sein, ihr König, ihr Admiral. Er quält sie so lange mit seinen Fragen, bis sie schlieÃlich eine aufrichtige Beichte niederschreibt:
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Sergej Saltykow: schreckliche Notwendigkeit
⦠der derzeitige polnische König ⦠Liebe auf beiden Seiten ⦠aber nach drei Jahre währender Trennung â¦
Fürst Grigori Grigorjewitsch Orlow ⦠hätte ein Leben lang dauern können, wenn es ihm nicht langweilig geworden wäre â¦
⦠dass er mich aus Verzweiflung zwang, eine Art Wahl zu treffen, eine, die schrecklich für mich war und die mich noch heute mehr schmerzt, als ich sagen kann â¦
⦠dann kam ein edler Ritter â¦
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Sie verordnet sich selbst ein strenges Regime: Sie muss ihre Liebe rationieren, sie darf nicht zu verschwenderisch damit umgehen, damit der Ritter ihrer nicht müde wird.
Im Bett ist er stürmisch, aber auch launisch. Manchmal geht er ganz darin auf, ihr Lust zu bereiten. Er spielt auf ihr wie auf einer Harfe, versetzt sie in einen wahren Taumel sinnlicher Freuden. Manchmal packt er sie an den Haaren und drückt ihren Kopf in seinen SchoÃ: Dann weià sie, dass sie sich ihre Lust erst verdienen muss.
Wenn er sich von ihr zurückzieht, schlingt sie die Arme um ihn und hält ihn ganz fest. Als ob sie ohne ihn verloren wäre.
*
Entlaufene Leibeigene und anderes Pack scharen sich um Pugatschow. Diese Lumpenarmee marschiert immer weiter unter Brennen und Morden, Vergewaltigen und Plündern. Sie sind bewaffnet mit Sensen und Sicheln, Hämmern und Ãxten. Männern, Frauen und Kindern wird bei lebendigem Leibe die Haut
abgezogen. Sie werden kopfüber aufgehängt, die FüÃe und Köpfe abgehackt. Städte werden erobert.
Die Berichterstatter geraten ins Stammeln, als sie vor der Kaiserin wiederholen, was Pugatschow faselt: Katharina habe Peter III ., der seinem Volk ein gütiger Vater war, vom Thron gestoÃen, weil sie unbedingt verhindern wollte, dass der Zar die Leibeigenschaft aufhob!
Nadelstiche undankbarer Untertanen?
Oh nein, es sind Peitschenhiebe, DolchstöÃe!
Pugatschow ist ein gerissener Gegner. Seine Versprechungen â genährt von Wodka und Gier â sind so groà wie die russische Steppe: Befreiung von jeglicher Herrschaft, unendlicher Reichtum. Welch ein Futter für schlichte Gemüter!
Solange sie noch gegen das osmanische Reich Krieg führt, kann sie nicht genügend Truppen gegen ihn schicken. Doch sobald der Friedensvertrag mit den Türken unterschrieben ist, werden von Wodka beduselte Aufständische kein Problem für die kaiserliche Armee mehr sein.
Wenige Tage später ist Pugatschow auf der Flucht.
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Nachdem Pugatschow geschlagen ist, wird eine Kommission beauftragt, die Dinge genauestens zu untersuchen. Sie nehmen den Anführer der Rebellen ins Verhör: Wer sind seine Hintermänner? Hat eine ausländische Macht ihn angestiftet? Konstantinopel? Frankreich? Polen?
Das Ungeheuer fällt auf die Knie, bekennt, dass er ein Hochstapler ist, bittet um Gnade. Nichts deutet darauf hin, dass Ausländer die Hand im Spiel hatten. Unzufriedene Leibeigene haben aufbegehrt, die Rebellion ist eine durch und durch russische Angelegenheit. Die adeligen Herren nicken zufrieden, sie haben es schon immer gewusst. Der Bauer ist nur mit der Knute zu regieren. Wir haben es Ihrer Majestät gesagt, oder nicht?
Daran denkt sie, als sie den Bericht der Kommission liest. Al
les ist schön ordentlich in den Akten festgehalten worden, wie es sein
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