Die Zarin der Nacht
bereit, sie mit Musik zu unterhalten. An jeder Haltestelle präsentiert Fürst Potjomkin ihr mit schelmischem Lächeln einen Garten, den er wie mit schwarzen Künsten aus der öden Steppe hervorgezaubert hat. Die Bäume und Sträucher und Blumen, die da so üppig zu gedeihen scheinen, sind lauter Topfpflanzen, der Boden dazwischen ist mit Moos ausgelegt. Die Elemente werden
immer wieder neu arrangiert und variiert, sodass kein Garten dem vorigen gleicht. Gestern führte ein Weg zu einem Springbrunnen, heute zu einer sprudelnden Quelle. Die Bank, die heute offen auf einer gekiesten Fläche dasteht, wird beim nächsten Mal hinter Wacholdersträuchern versteckt. »Du kannst mit deinem Willen Blumen zum Blühen bringen«, sagt sie und lacht.
»Dir und mir, Matuschka, ist nichts unmöglich. Wir sind unbesiegbar.«
Aber sie verschwendet ihre Zeit nicht mit eitlen Vergnügungen. Triumphbögen und Blumengirlanden bei jeder Station erinnern sie an ihre kaiserlichen Pflichten: Hier nimmt sie an einem Gottesdienst teil, dort lädt sie zu einem Ball ein, überall empfängt sie Würdenträger und Vertreter der Bevölkerung. Denn das ist der eigentliche Zweck der aufwendigen Reise: Sie will ihre Untertanen anhören. In jeder Stadt, die sie besucht, befragt sie Bischöfe, Gutsbesitzer und Kaufleute. Was würde euch das Leben erleichtern? Was den Wohlstand fördern? Was kann ich, eure Kaiserin, für euch tun?
»Warum so weit reisen, um nichts zu sehen?«, murrt ihr aktueller Favorit, den sie Monsieur Rotrock nennt. »Wir hätten ebenso gut am Hof bleiben können.« Sein Vorgänger hat versucht, Grischenka bei der Kaiserin anzuschwärzen, und musste deswegen gehen. Er hat eine fürstliche Abfindung erhalten.
Monsieur Rotrock heiÃt in Wirklichkeit Alexander Matwejewitsch Mamonow, aber wie könnte sie einen Liebhaber Alexander nennen? Oder gar Saschenka ?
»Ich bin nicht hergekommen, um das Land zu sehen, sondern der Menschen wegen«, gibt sie ihm zur Antwort. »Das Land könnte ich auch mit Hilfe von Karten und Reisebeschreibungen kennenlernen.«
Monsieur Rotrock senkt den Blick. Sie glaubt noch fest daran, dass sein junger Geist durch Bildung verfeinert werden kann.
»Es sind immer nur kurze Visiten, aber die Leute haben Gelegenheit, sich mit Anliegen an mich zu wenden«, fährt sie fort. »Und es hält die lokalen Behörden dazu an, ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, denn sie müssen fürchten, dass ich von Versäumnissen und Machtmissbrauch erfahre.«
Der junge Mann atmet hörbar aus. Seine Fingerspitzen trommeln auf den Tisch. An seinem Kragen ist ein Schmutzfleck, und er hat schwarze Ränder unter den Nägeln. Wischka soll ihn daran erinnern, dass er mehr auf Reinlichkeit achten muss.
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Kaniw ist eine polnische Stadt, sie gehört Stanislaws Neffen. Vor wenigen Tagen waren im russischen Kiew polnische Granden bei ihr zu Gast und spannen beim Essen ihre groÃen und kleinen Intrigen. Von ihrem König, der sie seit zweiundzwanzig Jahren regiert, sprachen sie in deutlich gereiztem Ton. Sie beklagten sich über sein Gejammer, dass die alten Tugenden verschwunden seien, über seine melancholischen Predigten. An allen Ãbeln in Polen sind immer sie schuld, nie er.
Wer steht eigentlich noch hinter ihm? Die Dichter? Die Maler, denen er Aufträge gibt? Die Bildhauer, von denen er Standbilder groÃer polnischer Könige anfertigen lässt? Seine Schwäche macht alle Tugenden und Talente, die er besitzen mag, zunichte.
Vor neunundzwanzig Jahren war Stanislaw ihr Geliebter, aber das ist ferne Vergangenheit. Ihr Russland expandiert. Sein Polen schrumpft. Sie hat ihn zum König gemacht. Er hatte die Wahl, ihr loyaler Verbündeter oder aber ihr Gegner zu sein. Er taugt in beiden Rollen nicht viel.
Einen König kann man auch wieder absetzen. Man kann einen Würdigeren finden. Jemanden von älterem Adel, eine stärkere Persönlichkeit. Der reicher ist, groÃartiger, entschiedener. Fürst Repnin, ihr Gesandter in Warschau, hat für sie auf einer Ãbersichtstafel Stanislaws Verbindungen zusammengestellt, den Kreis seiner Interessen und Wünsche und den der
Mittel, die ihm zu Gebote stehen. Immer wenn neue Berichte aus Polen eintreffen, vervollständigt und aktualisiert sie die Ãbersicht. Der Kreis um den König ist klein. Pfeile verweisen auf Kommentare
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