Die Zarin der Nacht
sie. Fürst Potjomkin weist galant einladend in Richtung der Tür, die zu ihrem Arbeitszimmer führt. Monsieur Rotrock verdreht die Augen. Sein ungezogenes Benehmen amüsiert sie sonderbarerweise. Wie ein kleiner Junge, denkt sie. Er erinnert sie an ihren Enkel.
Sie macht eine Handbewegung zur Tür. Es nutzt nichts, das Unvermeidliche hinauszuzögern. »Wollen wir uns zurückziehen, Monsieur?«, fragt sie.
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Sie nimmt auf dem Sofa Platz. Das dumpf stöhnende Geräusch, das die Polsterung von sich gibt, ärgert sie. Sie zeigt auf den Sessel ihr gegenüber, und Stanislaw setzt sich. Schweigen tritt ein. Bis jetzt ist es nur ein bisschen ungemütlich, aber wenn es noch länger anhält, wird es bedrohlich wirken.
Sie erkundigt sich nach seinen Onkeln, den Schwestern, den Brüdern und Vettern. Ist der Palast auf der Insel inzwischen fertig? Ist er schön geworden? Kennt er vielleicht einen Maler, der Architektur richtig wiedergeben kann? Er soll Sankt Petersburg malen. Es ist nicht leicht, eine Stadt gut zu porträtieren.
Seine Familie ist wohlauf. Sein Neffe ist sein Augapfel, ein
vielversprechender junger Mann. Aber vielleicht hat sie das bereits bemerkt? Sie hat ihn in Kiew kennengelernt, oder?
Sie erinnert sich an den jungen Mann. Nicht allzu gutaussehend und etwas steif, aber durchaus angenehm.
»Ja«, sagt sie, »Sie haben allen Grund, stolz auf ihn zu sein.«
Stanislaw kennt auch einen ausgezeichneten Maler. Bellotto heiÃt er, ein Venezianer. Sobald er wieder in Warschau ist, wird er sich darum kümmern, dass sie einige Proben seines Könnens erhält. Es wird ihm ein Vergnügen sein.
Nettigkeiten, alles sehr artig und angenehm. Sie denkt bereits daran, was sie Grischenka nachher antworten wird. Du hattest recht, wird sie sagen, es war wirklich nicht so schlimm. Ich hatte eben schon damals einen guten Geschmack, was Männer betrifft.
Wie naiv von ihr zu glauben, sie käme so leicht davon.
Stanislaw greift in seine Brusttasche, zieht einige Papiere hervor und legt sie auf seine Knie.
»Ich würde Ihnen gerne einen Vorschlag unterbreiten.«
Seine Hand macht eine ausladende Geste, seine Spitzenmanschetten flattern. Er hat seine Rede gut einstudiert: Früher oder später wird es wieder Krieg mit den Türken geben. Das ist unvermeidlich. Polen könnte Russland zur Seite stehen. Er bietet ihr zwanzigtausend Mann, gut bewaffnete und ausgebildete Truppen. Sie wird dafür bezahlen müssen, aber dieses Geld wird gut angelegt sein. Eine lohnende Investition. Das besiegte osmanische Reich wird wertvolle Territorien abtreten. Polen wird seine Grenzen bis ans Schwarze Meer erweitern können. Und ein starkes Polen wird ein Puffer zwischen PreuÃen und Russland sein. »Eine Kornkammer und ein Aufmarschgebiet für unsere vereinten Streitkräfte.«
Er hält ihr die Papiere hin. »Dieses bescheidene Memorandum enthält die wesentlichen Grundzüge meines Vorschlags.«
Es ist immer wieder amüsant, zu sehen, was für eine hohe Meinung Leute von sich selbst haben.
Ein König, der seine eigenen Untertanen nicht im Griff hat, möchte Krieg führen, und sie soll dafür bezahlen. Als ob sie nicht schon genug bezahlt hätte! Und was hat sie dafür bekommen? Zuerst einen Aufstand und eine Menge BlutvergieÃen. Dann immer neue Forderungen und Intrigen.
Die ungeschminkte Wahrheit wäre ihr lieber gewesen. Die nüchterne Feststellung, dass er ohne seine besonderen Beziehungen zu Sankt Petersburg in Warschau, wo verfeindete Parteien einander ständig bis aufs Messer bekämpfen, ein Niemand wäre.
Das zersplitterte Polen ist eine Festung ohne Mannschaft. Warum sollte sie Verhältnisse ändern wollen, die zum Vorteil Russlands sind? Sollen doch die zerstrittenen Parteien einander bekriegen. So einfach ist das.
»Das ist ein sehr interessanter Vorschlag, aber ich brauche Zeit, ihn genauer zu prüfen.« Sie nimmt die Papiere an sich und spürt, wie er zittert. Sie steht auf. »Mein ganzer Hof freut sich darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagt sie. »Fürst Potjomkin hat mir mitgeteilt, dass Sie einen groÃen Ball zu meinen Ehren ausrichten. Ich hoffe nur, der Fürst hat Sie darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht sehr lange bleiben werde. Ich habe es mir zur Regel gemacht, mich um zehn Uhr zurückzuziehen â ich bin nicht mehr die Jüngste.«
Er springt auf.
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