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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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für sie sein als die Sorge um ihre Kaiserin?
    Die Pelze, die sie umhüllen, duften leicht nach Jasmin und Bergamotte. Tote Tiere, die großzügig jene Wärme spenden, die sie selbst nicht mehr brauchen.
    Oh, die Jagd, die Lust, Beute zu machen. Die Spannung, das Wild aufzuspüren, es zu verfolgen. Man muss vorhersehen, wie es sich verhalten wird, und ihm den Fluchtweg abschneiden. Die überraschenden Wendungen und Schliche. Der Moment der Schreckstarre, die den Fasan für den Jäger unsichtbar macht.
Aber sie schützt ihn nicht vor den Hunden, die ihn mit ihren feinen Nasen zu finden wissen.
    Ich dachte immer, du könntest nie eine andere werden, So-phie.
    Stanislaw, ihr geliebter Stanislaw. Es war einmal, lang ist es her. Warum sollte sie sich deswegen grämen? Was in der Natur bleibt ewig unverändert?
    Bist du noch derselbe wie damals?
    Â 
    9.50 Uhr
    Zwei Radschlosspistolen. Sie achtete darauf, dass sie immer gebrauchsfertig und gut gereinigt zur Hand waren. Die Griffschalen aus Elfenbein sind mit ihren Initialen verziert. Was ist aus ihnen geworden?
    Dieses ständige Geplapper, Gemurmel, Stöhnen um sie herum! Der ganze Palast ist in Bewegung. Wellen gehen durch die Säle und Korridore. Sie fühlt es in ihrem Körper – eine Herrscherin muss fühlen, was sich in ihrem Reich tut, was all die Menschen, die für sie arbeiten, treiben. Sie muss es tief in ihrem Bauch spüren und mit jedem Härchen an ihren Beinen.
    Als Papa starb, verbot Elisabeth ihr, Trauer zu tragen, schließlich sei der Mann kein König gewesen. Maman starb in Paris, allein, verarmt, von ihren Gläubigern gehetzt. Ihre letzten Briefe waren so inhaltsleer wie die eines Schulmädchens, das nichts zu sagen weiß. Es ist schönes Wetter … es regnet nicht so viel wie voriges Jahr, aber mehr als vorvoriges Jahr.
    Auf dem Thron ist es einsam. Könige haben keine Freunde. Man hat sie davor gewarnt. Warwaras letzter Brief kam aus Warschau. Zu Händen der Kaiserin. Jener Kaiserin, die noch so viel mit ihr und ihrer Tochter vorhatte. Die davon träumte, die beiden in Pracht und Herrlichkeit immer an ihrer Seite zu haben. Die sich einbildete, sie würden sich darüber freuen und – warum sollte sie es leugnen? – ihr dankbar sein.
    Â 
    Ich beginne meinen Brief mit einer kleinen Anleihe bei Monsieur Voltaire, wohl wissend, in welch hohem Ansehen er bei Eurer Majestät steht. Wie jener alte Mann am Ende des Candide, der seinen Garten bebauen möchte, sehne auch ich mich nach einem einfachen Leben.
    Â 
    Oh, dieser Voltaire! Er ist überall wie der Mehltau, der ihre Rosen kaputtmacht. Fällt denen, die sie im Stich lassen wollen, nichts Besseres ein, als sich hinter ihm zu verstecken? Wieso geben sie nicht einfach zu, dass sie selbstsüchtig sind? Oder dass sie Angst davor haben, den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht genügen zu können? Aber nein, sie behaupten lieber, das wahre Glück sei allein zwischen Karotten und Blumenkohl zu finden!
    Â 
    Ich bitte Ihre Majestät, mich aus dem kaiserlichen Dienst zu entlassen. Meine Tochter und ich werden unsere Zeit in Russland immer in guter Erinnerung behalten.
    Â 
    Man soll über Tote nichts Schlechtes sagen, heißt es.
    Als Elisabeth starb, war das ganze Bett mit Blut besudelt. Schrilles Kreischen übertönte die Gebete. Sie schlug wild um sich. Selbst Ikonen waren nicht sicher vor ihr. »Ich habe so lange auf diesen Tag gewartet«, dachte Katharina damals. All die Gemeinheiten und Demütigungen, die sie erduldet hatte, kamen ihr wieder in den Sinn.
    Die Vorwürfe, weil sie unfruchtbar war. Und als sie dann ein Kind bekam, nahm Elisabeth es ihr weg.
    Wie man ihr nachspioniert, ihren Körper befingert und beschnüffelt hatte. Die Beschimpfungen, die Schläge, die spöttischen Fragen der Kaiserin: Hast du schon Pläne geschmiedet, Katharina? Du glaubst wohl, du kannst mich überlisten?
    Du bist eine Heuchlerin, Katharina. Du verstellst dich. Du bist eine Thronräuberin.
    Du hast auf die Ikone geschworen, dass dein Sohn Zar werden wird. Du trägst Pauls Krone auf deinem Kopf.
    Er weiß es. Er hat es immer gewusst.
    Die Stimme der Sterbenden wird leiser. Dann ist es still. Der Tod nimmt alles mit sich fort. Die Lebenden haben das letzte Wort.
    Â 
    10.00 Uhr
    Ihre Hände liegen auf der Matratze. Ihre Beine sind weit gespreizt. Sie kann sie nicht

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