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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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schließen, sosehr sie auch ihre Muskeln anspannt. Ihre Lippen sind immer noch ausgetrocknet. Warum bemerkt das niemand?
    Â»Immer noch zu viel Blut im Gehirn«, erklärt Rogerson einer Person, deren Gestalt nur als verschwommener Schatten erkennbar ist.
    Das Gehirn, der Körper. Kalte schweißige Finger betasten Muskeln unter schuppiger Haut. Den Körper, der sie im Stich gelassen hat. Der sich gegen sie erhoben hat und den Gehorsam verweigert. Nicht zum ersten Mal.
    Â»Ã–ffnen Sie das Fenster.«
    Â»Nein, Ihre Majestät kann die Zugluft nicht vertragen.«
    Â»Ihre Majestät hat geblinzelt.«
    Â»Ihre Majestät kann Sie nicht hören.«
    Â»Ihre Majestät bewegt die Augen.«
    Sie kann hören. In der Ferne winselt der Hund. Jemand scheucht ihn weg. Mit halb geöffneten Augen sieht sie das hilflose Fuchteln der Leute um sie herum. Sie fühlt ihre Angst.
    Wischka, die neben der Matratze kauert, flüstert: »Ich habe versucht, Platon Alexandrowitsch herzuholen. Aber als ich ihm sagte, Ihre Majestät sei krank, hat er nur die Hände vors Gesicht geschlagen und irgendetwas Unverständliches gemurmelt.«
    In Wischkas Stimme mischen sich Verachtung und Mitgefühl. Sie hat den Favoriten der Kaiserin nie gemocht, aber sie hat nie seinen Sturz gewünscht.
    Du kümmerst dich schon so lange um mich, Wischka. Und anders als so viele andere hast du mich nie im Stich gelassen.
    Â»Platon Alexandrowitsch glaubt, es ist alles seine Schuld.«
    Das ist verständlich. Platon hat sie erzürnt. Kein Wunder, dass er Angst hat. Sie hat ihm noch nicht verziehen.
    Wird sie es tun?
    Vielleicht.
    Wenn sie so weit ist.
    Jetzt noch nicht.
    Â 
    Wischka verstummt und macht Platz. Versucht Rogerson es noch einmal mit einer seiner Kuren? Es sind immer wieder dieselben. Kauen Sie etwas Rhabarber, Majestät, erbrechen Sie sich.
    Â 
    10.05 Uhr
    Ein Kribbeln an ihren Fußsohlen. Fast, als kitzelte sie jemand. Aber dann wird die Haut heiß, es brennt. Bestimmt bilden sich Brandblasen, die immer größer werden, bis sie aufplatzen.
    Was macht Rogerson mit ihr?
    Hat er sie nicht schon genug gequält?
    Wenn sie ihre Augen etwas weiter öffnen würde, könnte sie dann sehen, was der Doktor mit ihr anstellt? Aber ihre Lider sind bleiern schwer, sie kann sie nicht bewegen. Im Mund hat sie einen Geschmack von angelaufenem Messing. In ihren Ohren ein Klingeln von Silberglöckchen. Unter sich fühlt sie einen kalten feuchten Fleck. Hat sie ihre Blase entleert, ohne es zu merken? Aber wann?
    Ein scharfer Schmerz in ihrem Arm. Offenbar hat Rogerson noch eine Vene angestochen. Das Blut ist dunkel und dickflüssig, hört sie ihn sagen, es sickert nur. Sein Ton ist barsch, gereizt.
    Â»Ist es sehr schlimm?«, fragt jemand. »Wird dieser Aderlass helfen?«
    Â»Das kann man nicht wissen«, sagt der Doktor. Ein dumpfes Poltern – offenbar ist etwas auf den Boden gefallen.
    Ihre Hofdamen und ihr Leibarzt meinen es gut, aber letztlich sind sie nutzlos. Sie hätte es wissen müssen.
    Â»Majestät! Können Sie mich hören?«
    Ist das die Stimme von Besborodko? Ihr früherer Sekretär und jetziger Minister weiß immer genau, was sie will, als könnte er ihre Gedanken lesen. Besborodko wird kühlen Kopf bewahren. Er wird ihren Enkel rufen lassen. Er wird erkennen, dass keine Zeit zu verlieren ist.
    Ein Gedanke zuckt in ihr auf: Wenn sie aus irgendeinem Grund aus diesem Raum fliehen müsste, um ihr Leben zu retten, wäre sie verloren, denn sie könnte es nicht. Wenn ein Feuer ausbräche, würde sie verbrennen oder von herabstürzenden Deckenbalken erschlagen werden. Ein Attentäter würde sie mit einem Kissen ersticken oder ihr einen Dolch ins Herz stoßen.
    Graf Besborodko kniet neben der Matratze, sein Gesicht ist grau vor Besorgnis. Er mustert sie, kalkuliert, was noch möglich ist und was man aufgeben muss. Den Augen dieses Fuchses entgeht nicht viel.
    Schaffen Sie Alexander her, versucht sie zu sagen. Er muss erfahren, dass ich gestürzt bin. Holen Sie ihn. Lassen Sie ihm keine Wahl. Wenn Sie ihn nicht unter Druck setzen, wird er anfangen zu überlegen, er wird Gefühle und Pflichten gegeneinander abwägen. Die jungen Leute werden erst klug, wenn es zu spät ist.
    Â»Kann Ihre Majestät mich sehen? Können Sie mir irgendein Zeichen geben?«
    Â 
    Ich sehe Sie an! Sie wissen, was Sie zu tun haben.

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