Die Zauberer 01 - Die Zauberer
»Warum?«
»Ich weiß nicht, Meister.« Granock schaute sich erneut argwöhnisch um. »Ich glaube, es ist diese Dunkelheit. Und die ständigen Geräusche. Man hat das Gefühl, dass überall der Tod lauert.«
»Oder das Leben«, wandte Farawyn ein. »An einem Ort wie diesem, mein junger Novize, herrscht der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen. Es gibt keine Vernunft, die ihn lenkt, und keine Barmherzigkeit, die ihn aufhält. Das mussten auch meine Ahnen bereits erfahren.«
»Eure Ahnen?«, hakte Granock nach. »Sind denn bereits Elfen hier gewesen?« »Natürlich«, antwortete Farawyn, offenbar froh darüber, dass sein Schüler die Sprache wiedergefunden hatte. »Sigwyn selbst war es, der nach Süden zog, um Arun für das Elfenreich zu erobern.«
»Und warum gehört Arun heute nicht mehr zum Reich?«, fragte Granock. »Weil, mein junger Freund, Sigwyn und die Seinen es damals mit einem Feind zu tun bekamen, der stärker war als jede Elfenarmee. Und dieser Feind war der Dschungel.« Farawyn machte eine kurze Pause und schüttelte sich leicht, als würde es ihm eiskalt über den Rücken rieseln. Dann fuhr er fort: »Gegen Drachen, Zwerge und Trolle hatte sich Sigwyns Streitmacht behauptet - vor diesem Urwald jedoch kapitulierte sie. Die grässlichen Kreaturen Aruns und die feuchte Hitze unter diesem grünen Blätterdach setzten den Elfen erheblich zu. Zwar unternahm Sigwyn alles, um dieses Gebiet zu besiedeln und dem Reichsverband einzugliedern, doch als sich angesichts der vielen Opfer, die man zu beklagen hatte, sogar innerhalb der Armee Widerstand bildete, blieb Sigwyn schließlich nichts anderes übrig, als aufzugeben und sich wieder aus Arun zurückzuziehen.«
»Und seither ist niemals wieder ein Elf in Arun gewesen?«
»Nein«, antwortete Farawyn. »Zumindest nahmen wir das immer an«, fügte er nachdenklicher hinzu.
»Und die Menschen?«
»Deinesgleichen kam erst viel später nach Arun, lange nachdem die Elfen das Land verlassen und den Cethad Mavur errichtet hatten zum Schutz vor den Bestien, die in den Tiefen des Urwalds hausen. Man tut gut daran, sich vor ihnen zu schützen.«
»Die Wildmenschen aber leben hier«, wandte Granock ein.
»Richtig«, gab sein Meister zu. »Wenn man allerdings bedenkt, was aus ihnen geworden ist, hätten sie sicherlich gut daran getan, nördlich des Grenzwalls zu bleiben. Aber darüber dachten sie nicht nach. Menschen brauchen keinen dringenden Anlass, um etwas zu tun. Allein es tun zu können genügt ihnen schon. Sie sind eine ebenso junge wie zähe Rasse, und sie fürchten die Gefahr nicht, wenn auch häufig genug deshalb nicht, weil sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht absehen können.«
»Das... das klingt fast, als würdet Ihr die Menschen bewundern, Meister.« »Beneiden trifft es wohl besser, Junge«, gestand Farawyn, ohne sich umzudrehen. »Ihr Menschen habt all das, was auch wir einst hatten, was uns im Lauf der Jahrtausende jedoch verloren ging:
Neugier, Tatendrang, unerschütterlichen Mut - und wohl auch die Torheit, die damit einhergeht. Aber darauf kommt es nicht an. Wir Elfen haben den Zenit unserer Macht längst überschritten und die großen Tage hinter uns gelassen. Ihr Menschen hingegen habt noch alles vor euch, euch gehört die Zukunft.« Granock wusste beim besten Willen nicht, was er erwidern sollte. Dass Farawyn den Menschen aufgeschlossener gegenüberstand als die meisten anderen Zauberer, war kein Geheimnis, schließlich hatte er seine Position und seinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt, um einen Abkömmling dieser Spezies als Schüler nach Shakara zu holen, auch wenn der Hauptgrund dafür sicherlich seine Visionen oder übersinnlichen Ahnungen gewesen waren. Derart überschwänglich wie soeben aber hatte er seine Gewogenheit gegenüber dem Menschenvolk noch nie zum Ausdruck gebracht, jedenfalls nicht in Granocks Gegenwart.
Wortlos ging der junge Menschennovize weiter hinter seinem Meister her, und er war ganz rot geworden, so sehr fühlte er sich persönlich angesprochen von den hehren Worten Farawyns hinsichtlich der Menschheit.
Auf einmal hielt der Zauberer inne, drehte sich zu ihm um und forderte Granock auf: »Bevor dir meine Worte noch mehr zu Kopf steigen, versuch es auch mal.«
Im ersten Moment wusste Granock nicht, wovon die Rede war, dann jedoch hielt ihm Farawyn den Zauberstab hin. »I-Ihr wollt, dass ich vorausgehe?«, fragte Granock. »Dass ich uns einen Weg durch den Dschungel bahne?« »Sofern das nicht unter deiner
Weitere Kostenlose Bücher