Die Zauberer 01 - Die Zauberer
Leiter nach oben zu stemmen. Obwohl ihm die Anstrengung sicher zusetzte, ließ der Zauberer kein Wort der Klage vernehmen, sondern stützte sich sogar auf seinen narbigen Beinstumpf. Sein Wille, die Kluft zu überwinden, war stärker als jeder Schmerz und jede Anstrengung. Endlich hatten sie den Stamm erklommen, dessen Durchmesser an die zwei Mannslängen betrug, und gefolgt von Riwanon, die die Nachhut bildete, überquerten sie den Abgrund, dabei vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Nur ein Fehltritt, und alles würde vorbei sein - dann würden nicht nur sie selbst, sondern auch der alte Cethegar in den tosenden Abgrund stürzen, der unter ihnen klaffte und dessen weiße, nasskalte Nebel sie nach wenigen Schritten einhüllten.
Behutsam, den Blick auf ihre Füße gerichtet, arbeiteten sich Aldur und Granock voran, den Verstümmelten zwischen sich - und endlich lichtete sich der Dunst wieder. Die andere Seite, die sich als grüne Mauer jenseits der Kluft erhob, rückte in greifbare
Nähe, und sie konnten Farawyn und Alannah erkennen, die an der Kante standen und ihnen zuwinkten.
In diesem Moment geschah es.
Für einen winzigen Augenblick war Granock unaufmerksam und setzte den Fuß auf eine Stelle, wo Moos und Rinde von Feuchtigkeit durchdrungen waren
- und schon glitt er aus!
Ein erstickter Schrei kam ihm über die Lippen, während er merkte, wie er den Halt verlor. Es gelang ihm gerade noch, sich aus Cethegars Umarmung zu lösen, um den Ältesten und Aldur nicht mit in die Tiefe zu reißen - dann taumelte er vom Stamm.
Vergeblich ruderte er mit den Armen. Weder gelang es ihm, das Gleichgewicht zu bewahren, noch gab es etwas, woran er sich hätte festhalten können. Über die abschüssige Wölbung des Stammes strauchelnd, ließ er sich nach vorn fallen in der Hoffnung, sich an der Borke festkrallen zu können - aber seine Finger fanden kaum Halt auf der glitschigen Oberfläche, und wo sie es doch taten, griffen sie nichts als Moos, das sich im nächsten Moment löste. »Hiiilfe!«, schrie er panisch und warf sich herum, raste dem tödlichen Abgrund auf seinem Allerwertesten entgegen - und im nächsten Augenblick stürzte er in die Tiefe. »Neeeiiin ...!«
Granocks Schrei gellte so laut, dass er das Donnern des Wasserfalls übertönte, der Abgrund kam ihm vor wie ein riesiges Maul, das ihn verschlingen würde und ...
Just in dem Augenblick, als Granock mit dem Hintern voraus in die Tiefe stürzte, spürte er plötzlich festen Boden unter sich. Boden, der spiegelglatt war.
Und feucht und kalt.
Eis ...
Verblüfft nahm er wahr, dass sich unter ihm eine Plattform aus gefrorenem Wasser gebildet hatte, einer großen Bratpfanne gleich, deren Stiel um den Stamm gewickelt war und ihn auf diese Weise in der Luft hielt.
Alannah!
Der Zauber der Elfin hatte Granock vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt, aber in der drückenden Schwüle des Dschungels knackte das Eis bereits drohend. Granock war klar, dass er die Plattform sofort verlassen musste - wenn sie brach, würde es keine Rettung mehr geben.
Vorsichtig erhob er sich und versuchte, wieder auf den breiten Rücken des Stamms zu klettern, was infolge des Eises, das die Rinde überzog, jedoch nicht ohne Weiteres möglich war.
»Hier!«, rief jemand von oben, und Aldurs grimmig lächelndes Gesicht erschien über der Wölbung. Der Elf schob ihm etwas entgegen, und Granock traute seinen Augen nicht, als er Cethegars Zauberstab erkannte. »Halt dich fest!«
Granock zögerte keinen Augenblick.
Unter anderen Voraussetzungen wäre es wahrscheinlich ein Frevel gewesen, einen flasfyn auf solch profane Weise zu benutzen, noch dazu, wenn dieser dem Stellvertretenden Vorsitzenden des Hohen Rates gehörte. Wenn es um Leben oder Tod ging, schien es das Protokoll der Elfen aber nicht ganz so genau zu nehmen.
Zum Glück, dachte Granock. Kurzerhand griff er nach dem Ende des Stabes, und indem Aldur von oben zog, gelang es ihm tatsächlich, sich an der glatten Rinde und dem bereits schmelzenden Eis emporzuarbeiten. Der Moment, da er den sicheren Rücken des Stammes erreichte, kreidebleich im Gesicht, war auch jener Augenblick, da die Eisplattform ihrem eigenen Gewicht nachgab, mit markigem Knacken brach und in der Tiefe verschwand.
Granock war es einerlei - er war in Sicherheit. Und wie er nun feststellte, war es nicht nur Aldur, der das andere Ende des Stabes festgehalten und ihn wieder heraufgezogen hatte, sondern auch Meister Cethegar. Woher der Zauberer die Kraft
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